Der Wandel von Management- und Organisationskulturen in der Covid-19-Krise*
These 1: Bei Arbeitnehmer*innen wächst der Wunsch nach hybriden Arbeitssituationen – aber: nicht überall und nicht bei allen
Die Arbeit auf Distanz hat während der Pandemie deutlich zugenommen, aber knapp die Hälfte der Beschäftigten hat nicht von zuhause gearbeitet. 57 % wollen nicht von zuhause arbeiten. Das ist weniger als in den Vorjahren.
Als Gründe gegen den Ausbau der Arbeit zu Hause werden von ihnen genannt:
- Unternehmenskultur (39%)
- Ungleichheit von Mitarbeitenden (22%)
- Mangelnde Fähigkeiten der Mitarbeitenden (13%)
- Mangelnde Fähigkeiten der Führungskräfte (11%)
Über 75 % der Beschäftigten, die während der Pandemie erstmals regelmäßig im Homeoffice gearbeitet haben, möchten dies auch weiterhin (mindestens teilweise). 37 % der Beschäftigten, die keine Vereinbarung zum Homeoffice haben, würden gerne von zuhause arbeiten, können es aber aufgrund ihrer Tätigkeit nicht. Bei weiteren 6 % lässt es der Arbeitgeber nicht zu. Zwar arbeiten mehr Frauen (57 %) als Männer (51 %) von zuhause, jedoch häufiger ohne eine Vereinbarung. (BAuA 2023) Problembereiche bei Arbeit auf Distanz sind:
- Die Arbeitszeiterfassung
Ein Fünftel (21%) der Beschäftigten erfassen die Arbeitszeiten nicht. 13% haben kein Zeitkonto. Branchen, die über dem Durchschnitt liegen, sind: IT- und naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe, Gesundheitsberufe, Berufe in Unternehmensführung- und Organisation (Führungskräfte), Handelsberufe und soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe. Das sind die Bereiche, die tendenziell zu „interessierter Selbstgefährdung“ neigen (BAuA 2023).
- Zusammenarbeit
Die Betriebe geben an, dass Arbeitsmoral/Teamgeist, Produktivität und Qualität meist
- gleichgeblieben (ca. 52-68 %)
- gestiegen (16-24 %) bzw.
- gefallen (12-23 %)
- sind. Allerdings schneiden deutlich kritischer ab: die Kommunikation Mitarbeitenden (MA) mit ihren Führungskräften (FK) (gleich 55 % / + 14 % / -26%)
- die Kommunikation untereinander (gleich 45 % / + 14 % / -36 %)
- die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden (gleich 52 % / + 5 % / -26 %).
Bei letzteren Kriterien nimmt die negative Bewertung (MA-MA – 70% / MA – FK – 51 %) deutlich zu, je größer die Betriebe (> 250 MA) sind. Dies liegt vermutlich daran, dass mit der Betriebsgröße die Wahrscheinlichkeit von Homeoffice steigt (Backhaus 2022).
These 2: Zuhause ist es für manche am schönsten – die Unternehmen gestalten die Bürowelten um
Im Oktober 2020 ist die Zufriedenheit der Beschäftigten mit dem Homeoffice (53 %) deutlich größer als mit ihrem Büroarbeitsplatz (28 %) (Pfnür et. al. 2023). Dabei werden auch schlechtere Bedingungen in Kauf genommen, um nicht auf das „Privileg“ Homeoffice verzichten zu müssen.
Obgleich der Arbeitsplatz im Büro ausschließlich für die Funktion Arbeiten (und nicht Wohnen) ausgelegt ist, scheint diese Funktion im Firmenbüro nicht erfüllt zu werden. Das ist umso erstaunlicher, als dass der Büroarbeitsplatz über Jahrzehnte als Standard für Wissensarbeit angesehen wurde. Firmen haben Büroflächen nicht auf einen modernen Stand gebracht. Die fehlende Transformation der Arbeitsflächen fällt Unternehmen nun notgedrungen auf die Füße.
Umso schwerer kann es werden, ihre Mitarbeitenden wieder an den Büroarbeitsplatz zurückzubeordern. Diese Tatsache fällt umso mehr ins Gewicht, je älter und schlechter der Firmenarbeitsplatz ist (Pfnür et. al. 2023). Insbesondere in Zeiten des hohen Fachkräftebedarfs bzw. -mangels wird es zum Problem, neue Beschäftigte ohne Homeoffice-Möglichkeit zu gewinnen. In Großbetrieben (Bosch, SAP, Continental, Merck, Boss, Allianz, GTE, Adidas) wird deshalb nun bereits rund 7000 Beschäftigten auch Arbeit aus dem Ausland erlaubt bis zu 54 Tagen/Jahr bei Bosch. (Stuttgarter Zeitung )
Bei den Beschäftigten gibt es im Homeoffice klare Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern gehören beispielsweise verheiratete, ältere, erfahrene Beschäftigte mit höherem Haushaltseinkommen, mehr persönlicher Autonomie und höherer Hierarchieebene im Unternehmen. Zu den Verlierern gehören ledige, jüngere Berufsanfänger*innen mit niedrigem Haushaltseinkommen, niedriger Entscheidungsbefugnis, geringer Berufserfahrung sowie Teilzeitbeschäftigte und Mitarbeitende, die von Persönlichkeitsmerkmalen her eher gestresst oder gelangweilt sind. Gerade für die Verlierergruppe steigt das Risiko der Vereinsamung und des Boreouts (Pfnür et. al. 2023).
Der stärkste Indikator für einen positiven Arbeitserfolg der Beschäftigten im Homeoffice ist ihre jeweilige räumliche Situation: Positiv wirken vor allem die Größe und Qualität der Wohnung, die Attraktivität der Nachbarschaft sowie möglichst umfangreiche Grünflächen. Negativ wirken Urbanität, geringe Lebensqualität des Standorts, wenige Zimmer, minderwertige Bauqualität, mangelhafte Instandhaltung und schlechte Architektur (Pfnür et. al. 2023).
Unternehmen reagieren auf diese Aspekte, z.B. mit Open Space-Konzepten und Erwartungen:
- Der Kulturwandel in der Organisation soll unterstützt werden.
- Kommunikation und Kooperation sollen gefördert werden.
- Es soll ein modernes Arbeitsumfeld mit Funktionsräumen geschaffen werden.
- Diese Konzepte sind flexibel anpassbar und flächensparsam. Bei Umbau/Umzug entsteht weniger Aufwand.
- Bessere Arbeitsabläufe, teamorientierte Zusammenarbeit sowie Projektarbeit. Arbeitsprozesse werden transparent.
Open Space muss nicht mit Desksharing verbunden sein, sondern kann auch im Widerspruch dazu stehen. Die Beschäftigten stören sich vor allem am Lärm. Meistens betrifft Open Space aber auch die Frage der Führungskultur in Unternehmen.
These 3: Die Führungskräfte sind ein wichtiges Glied in der Transformation
Das größte Problem für den Einsatz virtueller Teams ist, dass bisher eine Gleichsetzung von Anwesenheit mit Arbeitsleistung erfolgte, die die Führungskräfte zu kontrollieren hatten. Bei der virtuellen Zusammenarbeit geht es darum, dass die Beteiligten ihre Aufmerksamkeit auf die zu erledigenden Aufgaben richten. Ein Aspekt, der vor allem in kollaborativen Arbeitszusammenhängen durch die Gruppe selbst gesteuert wird.
Die Zusammenarbeit ist weiterhin über die Hierarchie vermittelt, d.h. die konkreten Tätigkeiten werden bis in die Gruppenaufgaben hinein durch die Führung bestimmt und gestaltet. Sie werden damit ähnlich wie bei analoger Arbeit organisiert.
Diese Herausforderungen fordern vor allem die Führungskräfte. Der Vertrauensaufbau und –erhalt im Team ist wichtigste Aufgabe der Teamleitung, gefolgt von einer klaren Rollen- und Aufgabenverteilung und der Motivation der Teammitglieder (HAY Group 2015). Das Herstellen von Vertrauen wird allein dem Handeln der jeweiligen Teamführung als Pflicht übertragen: Mitarbeitende in ihrer Initiative zu unterstützen, damit die Selbstorganisation zu fördern und die Selbstmotivation anzuregen, gelungene Beispiele klug herauszustellen, und das Team in seiner Produktivität als Ganzes zu sehen.
These 4: Die neue Führungsrolle ist noch lange nicht Realität
Auch in Dienstleistungsunternehmen und Verwaltungen zeigt sich die Tendenz zu indirekter und partizipativer Führung. Dabei spielen indirekte Leistungssteuerung, Projektarbeit und digitale Tools für den Wandel eine Rolle. Die beiden derzeit hauptsächlich vorkommenden Führungsverständnisse sind partizipativ. Sie unterschieden sich aber in der Ausgestaltung:
- Konzentration auf Förderung und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden („Teamcoach“)
- Im Mittelpunkt steht die Gestaltung der Rahmenbedingungen, um Arbeitserfolge zu verbessern (“Katalysator“) (Elias & Valarin, 2021).
Derzeit sehen sich knapp ein Fünftel der Führungskräfte als Coach, weitere 30% sollen es in drei Jahren sein. Das kann mit Enthierarchisierung, mehr Selbstverantwortlichkeit der Teams,
Führung ohne disziplinarische Gewalt und Führung als (temporäre) Rolle umschrieben werden (Hofmann/Piele 2021b).
Die Pandemie zeigte, dass die Führungskräfte deutlich mehr Zeit für Kommunikation, Koordination und direkte Einzelgespräche aufwenden (mussten). Die Aufrechterhaltung informeller Kommunikation und Bindung bewerteten mehr als die Hälfte von ihnen mit „schwer/sehr schwer“. Zudem können ein starkes Drittel der Führungskräfte die Leistung ihrer Mitarbeitenden (sehr) schwer wahrnehmen.
Trotz erhöhtem Arbeitsaufwand bei virtueller Führung beabsichtigen weniger als ein Fünftel der befragten Führungskräfte „langfristig mehr zu delegieren“. In einem Ranking (absteigend) haben sie die wichtigsten Möglichkeiten, sich diese neuen Führungskompetenzen anzueignen, genannt (Hofmann/Piele 2021a):
-
- Learning by Doing
- Vernetzung außerhalb des Unternehmens
- Privater Einsatz von Technologien
- Nutzung von Technologien, die im Unternehmen (aber nicht privat) vorhanden sind
- Austausch mit Mitarbeitenden -Trainings intern oder extern
These 5: Beteiligung der Beschäftigten und der Betriebs-/Personalräte ist das Fundament gelingender Veränderungsprozesse – wird aber nicht immer gelebt
Für die meisten Beschäftigten bedeuten ihr Pandemie-Erfahrungen einen grundlegenden Kulturwandel, der Beteiligung geradezu erfordert. Schließlich wird die Verantwortung für die Arbeitsaufgaben den Beschäftigten übertragen. Beteiligung ist das Fundament für gelingende Veränderungsprozesse. Beschäftigte sehen häufig Chancen beim Einsatz der neuen Methoden, gleichzeitig hegen sie Befürchtungen bezüglich negativer Folgen oder Arbeitsplatzverlust. Nur in wenigen Betriebs-/Dienstvereinbarungen ist die Beteiligung der Beschäftigten ausdrücklich geregelt (Seibold/Mugler 2021).
Die Beteiligung der Interessenvertretung sehen 42 % der Personalmanager*innen als notwendig beim Kulturwandel an, 62 % bei der Ausgestaltung flexibler Arbeitsformen (= Orts- und zeitflexibles Arbeiten), nur noch 39 % bei der Büroraumgestaltung und ganze 23 % bei der Rollenveränderung der Führungskräfte.
Dementsprechend finden sich bisher - mit der Ausnahme von agiler Arbeitsorganisation, wo die traditionelle Führungsrolle in mehrere Rollen aufgeteilt wird - auch kaum Betriebsvereinbarungen, die dies thematisieren (Seibold/Mugler 2021).
Befürchtungen und offene Fragen von Beschäftigten an Betriebs-/Personalräte
- Ist die Konsequenz von Homeoffice Desk-Sharing? Droht die Auflösung/Verlagerung der Büros in andere Städte / andere Länder?
- Dringen technische Kontrolloptionen in meine Privatsphäre ein?
- Gibt es künftig projektbezogene Zielvereinbarungen?
Für viele Interessenvertretungen stellen sich darüber hinaus die Fragen
- Wie groß ist die Zeitsouveränität wirklich? Gibt es Zeiten der Nicht-Erreichbarkeit?
- Welche Ausstattung des Arbeitsplatzes vor Ort und im Homeoffice muss bestehen – wer überprüft das?
- Wie wird die Funktionalität von Teamarbeit bei hybridem Arbeiten gewährleistet und wie muss sich die Verantwortung und Rolle der Führungskraft verändern?
- Wie sollen die Interessenvertretungen mit den Kommunikationserfordernissen der diversifizierten Belegschaften umgehen? Wie die Kommunikation zu den Beschäftigten auf neuen Kanälen organisieren? Welche neuen Aktionsformen sind notwendig?
Allerdings zeigt sich im Handeln der Interessenvertretungen:
- Sie werden aktiver, wenn Homeoffice quantitativ bedeutsam ist
- Es gibt große Unterschiede zwischen Groß- und Kleinbetrieben
- Etablierte Verhandlungspraktiken werden in Frage gestellt
- Bei online oder hybrid durchgeführten Betriebsversammlungen beteiligen sich mehr Beschäftigte (Seibold/Mugler 2022)
- Mitbestimmung endet nicht mit einer Betriebs-/Dienstvereinbarung. Prozessvereinbarungen begleiten die Transformation
- Austausch über „best practise“ unter Interessenvertretungen ist hilfreich, besonders über neue Formen der Einbindung von Beschäftigten
- Ein offener Punkt ist bisher noch: ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften
Unterschiedliche Beschäftigteninteressen sind Herausforderungen für die Interessenvertretung. Homeoffice kann ein potenzieller „Spaltpilz“ in Betrieben mit Stationär- und Hybrid-Beschäftigten sein. Das Management hat dies noch nicht richtig wahrgenommen:
Kompensationen für stationär Beschäftigte haben gerade ein Drittel der Betriebe eingeführt. Bei Mehrfachnennungen waren dies: erweiterte Arbeitszeitflexibilität (35 %); „attraktivere“ Arbeitsplätze (30 %); Job-Rad (25 %); Bahnticket/-card (17 %); kostenloses Frühstück (1 %); Zeitausgleich fürs Pendeln (7 %) (Hofmann/Piel 2021b).
Fazit:
Es gibt eine deutliche Zunahme von Homeoffice bzw. hybridem Arbeiten, aber Wunsch und Möglichkeit passen nicht immer zusammen. Die Zusammenarbeit unter den Beschäftigten leidet und die Arbeitszeiterfassung ist nach wie vor ein Problem. Die Bürogestaltung war seither für Betriebe ein Stiefkind und kann sich künftig als Problem erweisen, weil das Arbeitsumfeld starken Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit hat. Die Betriebe reagieren mit modernen Bürokonzepten, dabei ist ihnen Transparenz und Flexibilität wichtig – für die Beschäftigten aber auch die Lärmbelastung. Führungskräfte sind der Schlüssel bei virtuellen Teams. Allerdings hat sich bisher die neue Führungsrolle noch lange nicht in der Realität etabliert. Von entscheidender Bedeutung ist die Frage: Ist Beteiligung nice-to-have oder Pflicht? In den Belegschaften gibt es Zentrifugalkräfte und Spaltungstendenzen zwischen Remote- und Stationär-Beschäftigten. Dies ist eine große Herausforderung für Interessenvertretungen neben den neuen Anforderungen an die Kommunikation mit den Beschäftigten.
Quellen:
- Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021. 2. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2023.
- Backhaus, Nils: Telearbeit, Homeoffice oder mobiles Arbeiten? Impulse zur Zukunft der Arbeit von zuhause 2022, in: Sozialpolitik.ch, Vol. 2/2022 – Article 2.7
- Elias, Friederike and Valarini, Elizangela. "Von der charismatischen Herrschaft zum ‚digital leader‘: Führung im Wandel?" Arbeit, vol. 30, no. 3, 2021, pp. 239-259. https://doi.org/10.1515/arbeit-2021-0017
- Gräfe, Daniel: Wie zwei Frauen Homeoffice im Ausland machen, in: Stuttgarter Zeitung 10.8.2023
- HAY Group, 2015: https://www.hays.de/documents/10192/118775/hays-studie-hr-report-2015-2016.pdf/8cf5aee3-4b99-44b5-b9a9-2ac6460005da
- Hofmann/Piel Arbeiten in der Corona-Pandemie. Folgeergebnisse Führung im Neuen Normal, Stuttgart 2021a
- Hofmann, Josephine, Piel, Alexander, Piel, Christian: Arbeiten in der Corona-Pandemie. Folgeergebnisse. Das Unternehmen als sozialer Ort – langfristige Wirkungen der Pandemie und Schlussfolgerungen für die Gestaltung des New Normal, Stuttgart 2021b
- Pfnür, Andreas, Bachtal, Yassien; Gauger, Felix: Work from home im Interessenkonflikt. Empirische Analyse veränderter Arbeitsorte und praktische Implikationen, in: WSI Mitteilungen Nr. 1., Baden-Baden 2023, S. 38-45
- Seibold, Bettina; Mugler, Walter Selbstorganisierte Teamarbeit in Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Praxiswissen Betriebsvereinbarungen, Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2021
- Seibold, Bettina; Mugler, Walter: New Work: neue Arbeitswelten, neue Chancen? Beschäftigteninteressen mit zukunftsorientierten Arbeitsformen verbinden. Mitbestimmungspraxis Nummer 50, Düsseldorf 2022
11.10.2023