Interview: Katharina Keil zur ökologischen Transformation des Automobilsektors
Über die Herausforderungen der Automobil- und Zuliefererindustrie, gewerkschaftliche Strategien und wieso die Elektrifizierung des Antriebsstrangs nur ein Teil der Lösung sein kann.
Du forscht zur ökologischen Transformation des Automobilsektors. Was sind hier die zentralen Herausforderungen, die Dir bei Deiner Forschung begegnen?
In meiner Dissertation beforsche ich zwei Hauptherausforderungen, besonders in Bezug auf die deutsche Automobilindustrie. Zum einen gibt es eine immense ökologische Herausforderung, die sich dadurch ergibt, dass die reine Elektrifizierung des Antriebsstrangs keine adäquate industrielle Anpassung an die ökologische Vielfachkrise ist. Hier bewegen sich insbesondere die deutschen Premiumhersteller genau in die falsche Richtung. Der Trend zum E-SUV ist geeignet, neue ökologische und soziale Probleme zu schaffen. Beispielhaft lässt sich das an den Umweltfolgen der Lithiumproduktion zeigen, die es mittelfristig noch schwerer machen, industrielle Produktion innerhalb planetarer Grenzen zu organisieren.
Demgegenüber steht die soziale Herausforderung, wie die Zukunft für Arbeitnehmer*innen in der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie aussehen soll. Hierzulande sind Endhersteller wie Volkswagen und BMW ansässig, aber auch viele Firmen der Zulieferindustrie. Diese Firmen sind vielleicht weniger bekannt, aber nicht minder wichtig. Dort arbeiteten laut Statista im Jahr 2022 rund 270 000 Menschen. Besonders in der Zulieferindustrie zeigt sich schon jetzt, wie massiv die Umwälzungen in der Branche allein durch die Elektrifizierung des Antriebsstranges sind. Viele der Zulieferer produzieren hauptsächlich Teile für Verbrennungsmotoren. Gerade für kleinere Zulieferer ist eine Umstellung der Produktion auf Teile für E-Autos schwierig, weil dabei ganz andere Materialien und Prozesse benötigt werden. Außerdem brauchen E-Autos weniger Teile – was erstmal, das ist auch die Ausgangsanalyse der IG Metall, insgesamt weniger Jobs in der Branche bedeutet.
Während der Coronakrise hatte das produzierende Gewerbe zu kämpfen – Gesundheitsschutz, fluktuierende Auftragslage, Probleme mit Lieferketten und Komponentenverfügbarkeit, und zuletzt Krieg und Energiekrise. Wie haben sich diese Krisen der letzten drei Jahre auf den ökologischen Umbau der Automobilbranche ausgewirkt, hat das Vorhaben an Salienz gewonnen oder ist es in den Hintergrund getreten?
Auf jeden Fall hat die Coronakrise als Katalysator in Bezug auf die Umwälzungen in der Industrie gewirkt. Es hat sich gezeigt, wie fragil die Lieferketten sind, vor allem für Komponenten die für elektrifizierte und zunehmend automatisierte Autos zentral sind. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass es vermehrt industrielle Initiativen und politische Unterstützung dafür gibt, diese Teile der Lieferkette auch in Europa anzusiedeln. Außerdem nutzen die Firmen wirtschaftlich turbulente Zeiten gerne, um Verlagerungsprojekte und ähnliches umzusetzen, die häufig schon länger in der Pipeline sind. Das sehen wir momentan auch. Insgesamt würde ich sagen, dass sich die Industrie nicht unbedingt im ökologischen Umbau befindet, sondern auf eine neue Marktsituation - etwa die EU-Abgasnormen - durch Elektrifizierung des Antriebsstrangs reagiert. "Ökologie " und "Klimaschutz" sind dann manchmal eher Schlagwörter, die genutzt werden, um industriellen Umbau auf Kosten der Arbeitnehmer*innen zu rechtfertigen und durchaus auch Schuldzuweisungen vorzunehmen - ganz nach dem Motto "wenn euer Job weg ist, bedankt euch bei Greta".
Ein zentrales Thema in Deiner Forschung ist das sogenannte job-vs.-environment-Dilemma und die Frage nach Möglichkeiten derjust transition. Was muss politisch, aber auch von Seiten der Unternehmen passieren, damit dem Autosektor dieser gerechte Übergang gelingt?
Wie man diese Frage beantwortet, hängt zuallererst davon ab, wie man Gerechtigkeit in diesem Kontext versteht. Ich würde sagen, ein gerechter Übergang ist erreicht, wenn die Industrie so umstrukturiert ist, dass planetare Grenzen eingehalten werden, keine Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung entlang der Lieferkette stattfinden und für die Arbeitnehmer*innen im Sektor gute, das heißt sichere, angemessen entlohnte und sinnstiftende Arbeitsplätze gesichert sind. Das ist sehr voraussetzungsvoll und erstmal wenig konkret. Für die praktische Umsetzung einer Just Transition ergeben sich daraus aber entscheidende Leitfragen, die verschiedene Akteure in der Entwicklung ihrer Forderungen und Strategien beantworten müssen.
Für die Landes- und Bundespolitik ergibt sich daraus meines Erachtens vor allem die Notwendigkeit, Industriepolitik weniger als Standortförderung um der Standortförderung willen zu denken. Viel mehr sollte ein geplanter Umbau ermöglicht werden, der einer Deindustrialisierung entgegenwirkt. Die entscheidende Herausforderung ist meiner Auffassung nach gesamtgesellschaftlich auszuhandeln, was wie und wofür in Deutschland produziert werden soll - also nicht weiterhin von der unendlichen Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und der Möglichkeit weiterer CO2-Emissionen auszugehen. Es ist ökologisch absolut angezeigt, dass die Autoindustrie schrumpft. Wenn das sozialverträglich passieren und ökologischen Zielen dienen soll, braucht es politische Leitplanken und Förderungen. Der Markt wird nicht dafür sorgen, dass bei VW irgendwann Straßenbahnen vom Band rollen. Dieser drastische Wandel ist auch nicht über einen Strategiewechsel des Managements zu erwarten, das bei börsennotierten Konzernen stets zuerst den Aktionären verpflichtet ist und nicht sozial-ökologischen Zielen.
Den Gewerkschaften wurde lange nachgesagt, in ökologischen Fragen den arbeitspolitischen Interessen ihrer Mitglieder verhaftet zu sein, und daher zur “Wachstumskoalition” zu gehören, die den Status Quo aufrechterhält. Daran scheint sich inzwischen etwas zu ändern. Welche Strategien verfolgen Gewerkschaften im Umgang mit den Herausforderungen der Klimakrise und wo siehst Du Verbesserungspotenzial?
Gewerkschaftliche Strategien sind nicht homogen, sondern unterscheiden sich je nachdem, welchen Sektor sie vertreten, nach der Zusammensetzung der Mitglieder und nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftspolitischen Ausrichtung der Gewerkschaft. Für Deutschland lässt sich jedoch beobachten, dass die DGB-Gewerkschaften verstärkt versuchen, eigene Positionierungen zu finden, die erlauben, gewerkschaftliche Interessen und ökologische Belange miteinander zu vereinbaren. Fortschritte und Herausforderungen dieser Umorientierung lassen sich beispielhaft gut an der IG Metall skizzieren, die mit Stahl- und Autoindustrie zwei vom ökologischen Umbau stark betroffene Sektoren vertritt. Die Strategie lässt sich als eine der "ökologischen Modernisierung" zusammenfassen: Klares Anerkennen der Klimakrise, deutliches Bekenntnis zum 1.5 Grad-Ziel, Umstellung der Autoindustrie auf elektronische Antriebsstränge oder, wie die Gewerkschaft sagen würde, Elektromobilität – das alles mit sozialer Absicherung für die Beschäftigten. Vielversprechend sind die klare Benennung der Problemlage und die proaktive Auseinandersetzung mit der Thematik auch in Kooperation mit Umweltverbänden, etwa zur Szenarienentwicklung für den deutschen Mobilitätssektor. In diesen Szenarien geht es um Mobilität und nicht nur um motorisierten Individualverkehr in elektrifizierter Form. Auch in der Fläche und auf Betriebsebene engagiert sich die Gewerkschaft zunehmend in der Gestaltung der, im IG Metall-Wording, Transformation.
Aus meiner Sicht ergeben sich aus dieser Strategie, die argumentativ stark auf dem Status Quo aufbaut, zwei Hauptherausforderungen: Erstens hat die Gewerkschaft zwar richtig erkannt, dass die Elektrifizierung des Antriebsstrangs überfällig ist und deutsche Hersteller hinterherhinken. Gleichzeitig begründet sich darin aber eine defensive Logik – die Eindämmung des Arbeitsplatzverlusts, der durch die geringere Fertigungstiefe von E-Autos zu erwarten ist: Weniger Teile = weniger Jobs. In dieser Logik offensive Strategien zu entwickeln ist ausgesprochen schwierig. Zweitens ist die Elektrifizierung des Antriebsstrangs, wie oben beschrieben, kein ökologisches Allheilmittel – sie kann allenfalls eingebettet in ein Maßnahmenpaket zur Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs Teil der Lösung sein. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Frage alternativer Produktion oder Konversion aufdrängt. Eine Einflussnahme der Arbeitnehmer*innen auf Investitions- und Produktionsentscheidungen ist im deutschen Korporatismus so nicht vorgesehen und entsprechend zögerlich agiert die Gewerkschaft hier. Auf Verbandsebene gibt es seitens der IG Metall durchaus eine Auseinandersetzung mit dem Thema, genauso wie die Satzung der Gewerkschaft, die eine Vergesellschaftung von Schlüsselsektoren vorsieht. In der praktischen Arbeit, wenn etwa Antworten auf den drohenden Stellenabbau gefunden werden müssen, spielt das aber kaum eine öffentlich wahrnehmbare Rolle. Die beiden Herausforderungen können aus meiner Sicht nur gemeinsam beantwortet werden: es gilt, einen Weg zu finden, auch auf gewerkschaftlicher Ebene auszuloten, wie auf Produktionsentscheidungen Einfluss genommen werden kann, um ein zukunftsweisendes Programm zu entwickeln, bei dem Arbeitnehmer*innen und Planet gewinnen. Verbündete für dieses Unterfangen finden sich vielleicht nicht in der Chefetage, dafür aber umso stärker in der Zivilgesellschaft - sei es NABU, BUND, oder die Wolfsburger Verkehrswendeaktivist*innen der Amsel44.
Das Interview führte Lorena Herzog.
2.10.2023