Fair transformierte Landschaften?
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„Leaving no one behind“: Die sozial-ökologische Transformation und die Herausforderung des gerechten Übergangs

Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, um die Erderwärmung zu begrenzen: den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität. Dieses Ziel stellt verschiedene Arbeitsmarktakteure vor Herausforderungen.

Im Rahmen einer sozial-ökologischen Transformation soll die Wirtschaft bis 2050 weitestgehend dekarbonisiert werden. Dabei soll nicht nur „niemand zurückgelassen werden“, wie es in der Pressemitteilung der EU-Kommission zum „EU Green Deal“ heißt; das neue Wachstumsmodell soll auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger verbessern und sich im Allgemeinen positiv auf deren Lebensqualität auswirken.

Der Umbau der Wirtschaft hin zum neuen Wachstumsmodell hat Folgen für die Arbeitswelt. Denn obgleich „niemand zurückgelassen werden soll“, sind Beschäftigte in unterschiedlichen Berufsfeldern, Branchen und Regionen nicht im gleichen Ausmaß von der Transformation betroffen. Während Arbeitsplätze beispielsweise im Bergbau und im Bereich der fossilen Energieerzeugung verschwinden werden, dürften in anderen Bereichen – wie in der Baubranche oder der Recyclingindustrie – neue Arbeitsplätze entstehen. Zudem steht vielen Branchen ein Wandel bevor, wie bereits jetzt am Beispiel der Automobilindustrie, die zunehmend auf Elektroantriebe setzt, sichtbar wird. Des Weiteren bringt der Wandel sowohl soziale wie auch umweltbedingte Folgen mit sich, die sich auf die Beschäftigten auswirken. Ersteres bezieht sich nicht nur auf das Thema Arbeitsplatzunsicherheit, sondern beispielsweise auch auf ein steigendes Ungerechtigkeitsempfinden, da Beschäftigte in unterschiedlichem Ausmaß von den Auswirkungen der Dekarbonisierung betroffen sind. Letzteres schließt Veränderungen der Arbeit durch die Folgen des Klimawandels ein, z.B. steigende Temperaturen, eine höhere Last an UV-Strahlung und häufiger auftretendes Extremwetter. All diese Faktoren werden die Arbeitsbedingungen für viele Beschäftigte verändern und gehen mit der Herausforderung einher, eine hohe Arbeitsqualität aufrechtzuerhalten.

Herausforderungen für die Sozialpartner

Die ungleiche Verteilung der positiven wie negativen Effekte der Dekarbonisierung der Wirtschaft auf die Arbeitswelt stellt insbesondere diejenigen vor Herausforderungen, die bei der Gestaltung und Regulierung von Arbeit in den Betrieben und Branchen eine wesentliche Rolle spielen: die Sozialpartner, also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Zwei Fragestellungen, die mit dem Themenfeld Klimawandel und Arbeit einhergehen, bergen dabei besondere Herausforderungen. Einerseits bezieht sich dies auf die diffusen Interessenskonstellationen, die aufeinandertreffen und die Frage aufwerfen, welchen Interessen man primär folgen sollte. Anders ausgedrückt muss entschieden werden, ob etwa die Interessen der Mitglieder (d.h. Beschäftigte auf Seiten der Gewerkschaften und Betriebe auf Seiten der Arbeitgeberverbände) priorisiert werden und dadurch gesamtgesellschaftliche Interessen womöglich in den Hintergrund rücken, oder ob versucht wird, verschiedenen Interessen gerecht zu werden. Andererseits zeigt sich, dass sich insbesondere die Branchen, in denen die Sozialpartner stark sind, im Zuge der Dekarbonisierung besonders wandeln werden müssen. Stärke bezieht sich dabei auf eine hohe Anzahl von Mitgliedern und daraus resultierend etablierten Strukturen für die Vertretung ihrer Interessen; in Deutschland ist dies beispielsweise in der chemischen Industrie oder der Automobilindustrie der Fall. Daher besteht die Gefahr, dass gut regulierte, tarifgebundene Arbeitsplätze durch weniger regulierte und womöglich nicht tarifgebundene Arbeitsplätze verdrängt werden könnten. Infolgedessen müssen die Sozialpartner abwägen, was (primär) geschützt werden sollte – gute Arbeitsplätze oder das Klima.

Sozialpartnerstrategien und Just Transition

Konfrontiert mit diesen Herausforderungen ist es daher wichtig, die Strategien der Sozialpartner zum Umgang mit der Dekarbonisierung zu betrachten und zu ergründen, wie sie versuchen, mögliche Dilemmata aufzulösen. Denn die Frage stellt sich, ob die sozial-ökologische Transformation GewinnerInnen und VerliererInnen hervorbringt oder als ‚Just Transition‘ verwirklicht werden kann. Eine Just Transition wird nicht nur von den Sozialpartnern gefordert, sie entspräche auch dem Ziel der EU-Kommission, niemanden zurückzulassen. Generell erkennen fast alle europäischen Sozialpartner die Notwendigkeit des Umbaus der Wirtschaft an. Strategien der ‚Opposition‘, die sich offen gegen eine Dekarbonisierung der Wirtschaft wenden, sind daher sehr selten. Ähnliches trifft allerdings auch auf Strategien der proaktiven Unterstützung (‚Support‘) zu, wenngleich deren Häufigkeit in den letzten Jahren zugenommen hat. Am weitesten verbreitet sind noch immer sogenannte ‚Hedging‘-Strategien; die Dekarbonisierung wird dabei nicht in Frage gestellt, allerdings wird versucht, sich Zeit zu kaufen, den Wandel zu verzögern und möglicherweise strengere Regulierung aufzuschieben.

Derartige Strategien unterstreichen den für die Sozialpartner schwierigen Spagat zwischen dem Schutz von (guten) Arbeitsplätzen und dem Schutz des Klimas. Brancheninteressen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Denn sozialpartnerschaftliche Organisationen sind Mitgliedsorganisationen, sodass ihr Handeln vor allem die potenziellen Interessen der Mitglieder widerspiegelt. Auf Seiten der Gewerkschaften sind das vor allem der Erhalt von Arbeitsplätzen und guten Arbeitsbedingungen während Arbeitgeberverbände typischerweise auf das möglichst freie Wirtschaften ohne zu große regulatorische Einschränkungen pochen. Zudem sind auch interne Entscheidungsmechanismen zu beachten, denn diese haben Auswirkungen darauf, wie Strategien formuliert und umgesetzt werden. Gerade große Gewerkschaften und Verbände vertreten die Interessen mehrerer Branchen; beispielsweise repräsentieren die IG Metall und Gesamtmetall Sektoren, die zu den Gewinnern und Sektoren, die zu den Verlierern der Dekarbonisierung gehören könnten. Ob und wie möglicherweise divergierende Interessen intern bewertet und abgewogen werden, wie die Koordination unterschiedlicher Handlungsebenen stattfindet und wer an Entscheidungsprozessen beteiligt wird, kann sich auf die resultierenden Policy-Positionen auswirken.

Wege zur Just Transition

Betrachtet man diese Herausforderungen, stellt sich die Frage, wie es gelingen könnte, das ehrgeizige Ziel zu erreichen, dabei niemanden zurückzulassen. Öffentliche Unterstützung für den bevorstehenden Wandel könnte es den Sozialpartnern erleichtern, Beschäftigungs- und Klimafragen miteinander in Einklang zu bringen. Derartige Unterstützung könnte beispielsweise Finanzhilfen für besonders betroffene Regionen bieten, um den Strukturwandel zu erleichtern oder Qualifizierungsprogramme für diejenigen beinhalten, deren Berufsbilder in einer dekarbonisierten Wirtschaft kaum mehr nachgefragt werden. Die EU hat mit ihrem Just Transition Fund ein Instrument hierzu aufgesetzt, das die Reduktion von Emissionen attraktiver macht und dabei auch die sozialen Folgen für die Beschäftigten abfedert. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die zur Verfügung stehenden Mittel beantragt und genutzt werden und inwieweit die für die Beantragung nötigen „Territoral Just Transition Plans“ das Ziel eines gerechten Übergangs in die Tat umsetzen werden.

Doch nicht nur die Beschäftigten könnten GewinnerInnen oder VerliererInnen des Wandels sein; gleiches trifft auch auf die Sozialpartner zu. Je nachdem, wie die sozial-ökologische Transformation angegangen wird, entstehen Chancen und Risiken. Einerseits haben die Sozialpartner die Möglichkeit, sich als verantwortungsvolle Akteure zu präsentieren, die die sozial-ökologische Transformation proaktiv gestalten und dadurch zu einer Just Transition beitragen. Gelingt es den Sozialpartnern zu zeigen, dass sie in der Lage sind, politische Fragen, die mit dem Klimawandel einhergehen, anzugehen, könnte dies auch dazu beitragen neue Mitglieder zu gewinnen. Andererseits könnten sich dabei vor allem diejenigen Mitglieder, die eher zu den VerliererInnen der Dekarbonisierung gehören, von den Sozialpartnern abwenden. Dies ist eine Erklärung dafür, warum dem Konzept der Just Transition ein derart hoher Stellenwert beigemessen wird. Ein starkes politisches (und finanzielles) Commitment des Gesetzgebers zur Idee der Just Transition wäre auch für die Sozialpartner eine Ressource. Denn öffentliche Unterstützung für einen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Rahmen, der es ermöglicht, die potenziell negativen Folgen der Dekarbonisierung der Wirtschaft abzumildern, könnte es den Sozialpartnern erleichtern, Klima- und Beschäftigungsfragen proaktiv anzugehen und dazu passende Strategien zu entwickeln. Denn nur wenn wirklich niemand zurückgelassen wird, gehören nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Sozialpartner zu den Gewinnern der bevorstehenden Transition.

4.10.2023