Metamorphosen der Plattformarbeit seit der Pandemie: Eine regulatorische Odyssee
Die Digitalisierung verändert traditionelle Arbeit und Arbeitsformen grundlegend und führt zu einer neuen Zukunft der Arbeit. Eine wichtige Triebkraft dieses Veränderungsprozesses ist die Gig-Arbeit. Letztere entstand, als eine stetig wachsende Anzahl an Plattformen begann, als digitale Vermittler zwischen Gig-Arbeitern und Gig-Auftraggebern zu fungieren (ILO, 2021). Entsprechend wird die sogenannte Gig-Economy als ein Arbeitsmarktsegment definiert, in dem einmalige Dienstleistungen über Online-Plattformen abgewickelt werden (Koutsimpogiorgos et al., 2020). Befeuert durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundene Notwendigkeit, Arbeit digital zu organisieren, hat die Gig-Economy ein erhebliches Wachstum erfahren. Dies wirft Fragen zu ihrer Regulierbarkeit auf. In diesem Artikel erörtern wir die damit verbundenen Herausforderungen. Und wir erklären, warum die zunehmend vielfältigen Ausprägungen der Gig-Economy es Politikern auch auf nationaler Ebene ermöglichen, diesen internationalen Arbeitsmarkt zu regulieren.
Der Aufstieg der Gig Economy
Die "Gig-Economy" (auch "On-Demand" oder "Sharing Economy" genannt) bezeichnet ein bestimmtes Segment des Arbeitsmarktes, in dem "Gig-Arbeiter" (auch "Crowd-Worker" genannt) durch Plattformen vermittelte Dienstleistungen erbringen oder Aufgaben für Kunden (im Folgenden "Gig-Auftraggeber") auf einer projektbezogenen oder aufgabenbezogenen Basis erledigen (Koutsimpogiorgos et al., 2020). Dies spricht ein breites Spektrum von Arbeitnehmern an, die entweder nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, sich an traditionelle ('9-to-5'-) Arbeitszeiten zu halten, oder die Gig-Arbeit neben ihrem traditionellen Job ausüben (ILO, 2021). Es sind die zeitliche und örtliche Flexibilität, Autonomie, niedrige Einstiegshürden und sofortiges Einkommen, die die Akzeptanz dieser Art von Zeitarbeit fördern (Zwysen & Piasna, 2023). Obwohl die definierenden Merkmale der Gig-Economy oft diskutiert werden, besteht ein breiter Konsens darüber, dass digitale Arbeitsplattformen ein wesentliches konstituierendes Element sind, da "Gig-Plattformen" die Infrastruktur und den digitalen Marktplatz bereitstellen, auf dem Arbeitsverträge für einmalige, gelegentliche oder wiederkehrende Dienstleistungen ausgehandelt, verwaltet und erbracht werden.
Gig-Plattformen lassen sich grob in zwei verschiedene Arten der Dienstleistungserbringung einteilen. Ursprünglich umfasste Gig-Arbeit vor allem "Onsite-Gigs", die beim Kunden vor Ort erledigt werden (wie z.B. Chauffeur-, Liefer- oder Reinigungs-Dienste) und von Plattformen wie Uber, Airbnb oder Deliveroo abgewickelt werden. Im Laufe der Zeit weitete sich die Gig-Economy auch auf "Online-Gigs" aus, die am Computer ausgeführt werden (z.B. Übersetzungs-, Design- oder Programmierungs-Arbeiten) und von Plattformen wie UpWork, Fiverr und Freelancer angeboten werden. Während die Arbeit vor Ort oft (aber nicht immer) nur geringe Qualifikationen erfordert, umfassen Online-Gigs oftmals komplexere und spezialisierte Aufgaben, die hohe Qualifikationen erfordern. Ein weiteres wichtiges Merkmal der Online-Gig-Economy ist ihr grenzüberschreitender Charakter, da sich Arbeitnehmer und Kunden an verschiedenen und weit entfernten Orten befinden können. Dies macht die Online-Gig-Economy zum ersten wirklich globalen Arbeitsmarkt. Eine solche Ausweitung der Arbeitsmöglichkeiten brachte sowohl Vorteile als auch Herausforderungen für Arbeitnehmer, Kunden und Regulierungsbehörden mit sich, die durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gig-Arbeit noch verstärkt wurden.
Die COVID-19-Pandemie und die weltweite Nachfrage nach Online-Gig-Arbeit
Eine der vielen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie war das verstärkte Wachstum der Gig-Economy, da sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer mit den Möglichkeiten von Fernarbeit ("Remote-Work") vertraut machen mussten. Hinsichtlich der Nachfrage von Arbeit entdeckten Arbeitgeber schnell das Potenzial und die Machbarkeit von Remote-Work. Als Fernarbeit immer verbreiteter wurde, passten Unternehmen sich rasch an und nutzen die Möglichkeit, Gig-Arbeiter zusätzlich oder alternativ zu ihrer bisherigen Belegschaft anzuheuern, da dies kosteneffizienter war. Und in Bezug auf das Angebot von Arbeit suchten Angestellte in flexiblen Arbeitsmärkten, die mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes konfrontiert waren, schon bald nach alternativen Erwerbsmöglichkeiten. Andere – getrieben durch die Ungewissheit der Pandemie – entschieden sich, ihre bisherigen Anstellungen aufzugeben, um Einkommensmöglichkeiten mit geringerem Gesundheitsrisiko oder mehr Flexibilität zu finden (Houseman & Heinrich, 2015). Die Pandemie führte somit zu einem Paradigmenwechsel bei den etablierten Arbeitsformen und rückte die über Plattformen vermittelte Gig-Arbeit in den Fokus der Arbeitswelt.
Das verstärkte Wachstum der Gig-Economy ist sowohl im Online- (siehe Abbildung 1) als auch im Onsite-Segment (siehe Abbildung 2) sichtbar. Abbildung 1 zeigt, dass die weltweite Nachfrage nach Online-Gig-Work seitens der Auftraggeber zwischen 2016 und 2020 um etwa 40 % und im ersten Jahr der Pandemie um weitere 40 % anstieg.
Abbildung 1: Entwicklung der Nachfrage nach Online-Gig-Services
Quelle: Online-Arbeitsmarktbeobachtungsstelle unter www.onlinelabourobservatory.org
In ähnlicher Weise zeigt Abbildung 2, dass das Angebot von Onsite-Gig-Dienstleistungen in Europa und Nordamerika durch die Pandemie rasant gestiegen ist. Abbildung 2 lässt zudem erkennen, dass das Ausmaß, in dem Gig-Dienstleistungen vor Ort während der Pandemie angeboten wurden, je nach Branche stark variierte. So stieg das Angebot an (Lebensmittel-)Lieferdiensten sprunghaft an, während Reinigungs- und Chauffeurdienste aufgrund von Lockdowns, Social Distancing und Reisebeschränkungen kaum angeboten wurden. Beim Angebot von Online-Gig-Work ist ein ähnlicher Trend zu beobachten: Während die Nachfrage nach Online-Gig-Work im ersten Jahr der Pandemie um etwa 40 % zunahm (Abbildung 1), stieg das Angebot von Online-Freelancing und insbesondere von Online-Umfrage-Gigs in den ersten Lockdown-Monaten um bis zu 350 % (Abbildung 2). Dieser Trend hielt bis April 2020 an, als die Kontaktbeschränkungen erstmals gelockert und finanzielle Unterstützungsprogramme für Arbeitnehmer aufgelegt wurden (AppJobs, 2020). Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die COVID-19-Pandemie nicht nur die vielfältigen Möglichkeiten der Gig-Economy offenbart hat, sondern auch zum Katalysator für ihre schnelle Expansion wurde.
Abbildung 2: Gig-Anwendungstrends nach Kategorie
Quelle: AppJobs (2020). Bericht über die Zukunft der Arbeit
Diese deutliche Zunahme der Gig-Arbeit hat schnell das öffentliche Interesse und die Sorge um die Regulierbarkeit von Gig-Arbeit geweckt. Da das Angebot an Gig-Dienstleistungen deren Nachfrage um ein Vielfaches übersteigt, besteht die Gefahr, dass Gig-Arbeiter sich gegenseitig im Preis unterbieten, und nicht die erforderliche Lohnhöhe verlangen können, die es ermöglichen würde, sich eigenständig gegen Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit zu versichern oder eine Altersvorsorge zu treffen. Dementsprechend wird ein großer Teil der auf Online-Gig-Plattformen geleisteten Arbeit von Auftraggebern in den regulierten und entsprechend teureren Arbeitsmärkten des globalen Nordens aus Niedriglohnländern mit weniger regulierten und sozial abgesicherten Arbeitsmärkten eingekauft. So sind beispielsweise Länder wie Indien aufgrund der guten Englischkenntnisse und technischen IT-Fähigkeiten ihrer Arbeitskräfte als Standorte für digitales Gig-Outsourcing besonders beliebt geworden (Stephany et al., 2021). Insbesondere in Ländern mit hohem Arbeitsschutz besteht daher die Sorge, dass die Gig-Economy auf nationaler Ebene nicht reguliert werden kann, da sich die Aktivitäten international operierender Plattformen über die nationalen Grenzen und deren regulatorische Reichweite hinaus erstrecken.
Liegt Gig-Arbeit wirklich außerhalb der Reichweite nationaler Regulierungsbehörden?
Angesichts des erheblichen Wachstums der Gig-Ökonomie und der häufig grenzüberschreitenden Tätigkeit mittels Gig-Plattformen stellt sich die Frage, ob Gig-Arbeit überhaupt auf nationaler Ebene reguliert werden kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig klarzustellen, dass Gig-Arbeit dem Arbeitsrecht desjenigen Landes unterliegt, in dem sie ausgeführt wird. So unterliegt beispielsweise ein deutscher Gig-Arbeiter, der über die US-amerikanische Plattform Fiverr einen Übersetzungsauftrag für einen spanischen Auftraggeber ausführt, dem deutschen Arbeitsrecht. Aber hat nationale Regulierung überhaupt noch Einfluss auf die Gig-Arbeit? Oder wird nationale Regulierung, die sich in der Regel in höheren Löhnen niederschlägt, schlicht dazu führen, dass Plattformen ihre Tätigkeit im jeweiligen Land einstellen? Oder wird sie zu einem Verlust von Gig-Möglichkeiten in Hochlohnländern führen, weil Auftraggeber Gig-Arbeiter aus weniger regulierten, weniger kostenintensiven Ländern einstellen?
Diese Fragen müssen für die Onsite- und die Online-Gig-Economy unterschiedlich beantwortet werden, da die Onsite-Gig-Economy geografisch begrenzt ist, während die Online-Gig-Economy einen internationalen Arbeitsmarkt darstellt. Die physische Natur von Onsite-Dienstleistungen bedeutet, dass ihre Regulierung relativ einfach ist. Eine Verlagerung von Gig-Dienstleistungen, z. B. die Auslieferung von Essen in Deutschland durch einen Gig-Worker in Spanien, ist schlichtweg unmöglich, selbst wenn die deutsche Gig-Arbeit teurer wird. Aufgrund dieser geografischen Begrenzung haben sich die nationalen Arbeitsstandards für Gig-Work – im Einklang mit dem jeweiligen nationalen Arbeitsrecht – zunehmend auseinanderentwickelt. Dies gilt sogar für Gig-Dienstleistungen, die über dieselbe Plattform in unterschiedlichen Ländern vermittelt werden. So hat sich beispielsweise die Plattform Helpling (die Reinigungsdienste vermittelt) taktisch an die institutionellen Bedingungen jedes Landes angepasst: Um Gig-Worker weiterhin als Freelancer ohne Arbeitnehmerrechte vermitteln zu können, passte die Plattform unter anderem ihre Provisionsstruktur an und ermöglicht Gig-Arbeitern nunmehr, die Preise für ihre Arbeit selbst festzulegen. Dadurch gelingt es Helpling, ihren Status als E-Commerce-Vermittlerin beizubehalten und nicht als Arbeitgeberin von Reinigungskräften klassifiziert zu werden, was ihr bisheriges Geschäftsmodell zerstören würde (Koutsimpogiorgos et al., 2023). Die Sorge, dass Gig-Arbeit, die durch international operierende Plattformen vermittelt wird, auf nationaler Ebene nicht reguliert werden kann, ist daher für Onsite-Gig-Work unberechtigt.
Die geografische Ungebundenheit von Online-Gig-Arbeit macht nationale Regulierbarkeit und deren Durchsetzbarkeit hingegen deutlich schwieriger. Während Faktoren wie geografische Nähe, gemeinsame Sprache und Zeitzonen die Einstellungsentscheidungen in der Online-Gig-Economy weiter beeinflussen (Van Slageren, Herrmann & Frenken, 2022), machen Online-Gig-Plattformen die Verlagerung von Arbeit aus Hoch- in Niedriglohnländer problemlos und in großem Umfang möglich. Wichtig ist hierbei jedoch, dass die Verlagerung von Online-Gig-Arbeit weniger wahrscheinlich ist, wenn Gig-Arbeiter über spezifische Fähigkeiten verfügen, die auf anderen Märkten nicht ohne Weiteres verfügbar sind: So deutet eine neue Studie darauf hin, dass Gig-Arbeiter mit seltenen, spezialisierten Fähigkeiten vor den Auswirkungen von Schwankungen in Gig-Löhnen infolge von Arbeitsschutzmaßnahmen geschützt sein könnten (Van Slageren & Herrmann, 2023). Mit anderen Worten: Wenn sich Online-Gig-Arbeiter spezialisieren, indem sie Fähigkeiten und Dienstleistungen anbieten, die von Gig-Arbeitern in anderen Ländern nicht ohne Weiteres nachgeahmt werden können, macht sie das weniger anfällig für internationalen Preisdruck. Dies wiederum ermöglicht Regulierung auf nationaler Ebene, wie z. B. die Festlegung eines Mindestlohns oder von Sozialversicherungsbeiträgen, da Aufträge, die sehr spezielle Gig-Fähigkeiten erfordern, nicht ohne Weiteres in weniger geschützte, weniger teure Gig-Länder verlagert werden können.
Schlussfolgerung und politische Implikationen
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Gig-Economy nicht außerhalb der Reichweite von nationaler Regulierbarkeit liegt, auch wenn Gig-Plattformen oft international operieren. Dies bedeutet, dass nationale Regulierung nicht nur im Onsite-Segment, sondern auch im internationalen Online-Segment der Gig-Economy wirksam sein kann. Infolgedessen erleben wir eine zunehmende Diversifizierung der Geschäftsmodelle von Onsite-Gig-Plattformen und eine zunehmende Spezialisierung der Gig-Arbeiter auf Online-Plattformen.
Da die Gig-Economy weiter wächst, ist es sowohl notwendig als auch wirksam, wenn politische Entscheidungsträger auf nationaler und internationaler Ebene Vorschriften erlassen, um hohe Arbeitsstandards und -bedingungen von Gig-Arbeitern zu gewährleisten. In dieser Hinsicht ist die EU-Richtlinie über Gig-Work (2019/1152) eine vielversprechende Initiative – ebenso wie der von der Europäischen Kommission im Dezember 2021 vorgelegte Richtlinienentwurf zur Festlegung von Beschäftigungsbedingungen für Gig-Arbeiter. Nationale Entscheidungsträger können jedoch über eine solche supranationale Regulierung hinausgehen, die in der Regel nur „Mindeststandards“ (EU 2019/1152, Art. 4) festlegt, die hinter dem nationalen Arbeitsschutz vieler westlicher Länder zurückbleiben. Eine mögliche Option für nationale Regulierung besteht beispielsweise darin, Gig-Plattformen zu verpflichten, nach dem Vorbild der deutschen Künstlersozialkasse (KSK) Sozialversicherungsbeiträge auf Grundlage der von ihnen erzielten Einnahmen einzuzahlen. Angesichts der raschen Expansion der Gig-Economy sollten politische Entscheidungsträger ihre regulatorischen Möglichkeiten daher auch auf nationaler Ebene nutzen, um sicherzustellen, dass die Gig-Economy zu einem Arbeitsmarkt wird, der echte Chancen ohne prekäre Arbeitsbedingungen bietet.
Quellen:
Houseman, S. N. & Carolyn J. Heinrich, C. J. (2015). "Temporary Help Employment in Recession and Recovery". Upjohn Institute Working Paper 15-227. Kalamazoo, MI: W.E. Upjohn Institute for Employment Research. [Online] Verfügbar unter: https://doi.org/10.17848/wp15-227
ILO. (2021). World Employment and Social Outlook. Die Rolle digitaler Arbeitsplattformen bei der Umgestaltung der Arbeitswelt. Geneva: International Labour Organization. [Online] Verfügbar unter: https://www.ilo.org/global/research/global-reports/weso/2021/lang--en/index.htm
Koutsimpogiorgos, K., Slageren, J., Herrmann, A. M. & Frenken, K. (2020). "Conceptualizing the Gig Economy and Its Regulatory Problems". Politik und Internet, Vol. 12 (4), 525-545. [Online] Verfügbar unter: https://doi.org/10.1002/poi3.237
Koutsimpogiorgos, N., Frenken, K., & Herrmann, A. M. (2023). "Platform adaptation to regulation: The case of domestic cleaning in Europe". Journal of Industrial Relations, 65(2), 156-184. [Online] Verfügbar unter: https://doi.org/10.1177/00221856221146833
Van Slageren, Jaap, and Andrea M. Herrmann (forthcoming): "Skill Specificity in the High-Skill Online Gig Economy: Same as in Traditional Labour Markets?" Social Forces, accepted for publication on 3 Nov. 2023.
Stephany, F., Kässi, O., Rani, U., & Lehdonvirta, V. (2021). Online-Arbeitsindex 2020: New ways to measure the world's remote freelancing market. Big Data & Society, 8(2). [Online] Verfügbar unter: https://doi.org/10.1177/20539517211043240
Zwysen, W. & Piasna, A. (2023) Pushed online: “What characteristics of regional offline labour markets influence the expansion of Internet and platform work?” New Technology Work and Employment, 1-26. [Online] Verfügbar unter: https://doi.org/10.1111/ntwe.12277
29.11.2023