Organisationskultur und Arbeitsorganisation in der postpandemischen Phase
Wie Organisationskultur den Erfolg von hybriden Arbeitsplatzkonzepten* beeinflusst.
Die Kultur von Organisationen hat einen großen Anteil daran, wie diese langfristig mit den arbeitsorganisatorischen Herausforderungen der Corona-Pandemie umgegangen sind. Die Pandemie und die temporär erzwungene Flexibilisierung und Mobilisierung von Zusammenarbeit bot für Unternehmen Herausforderungen, aber auch Potentiale für die langfristige Neugestaltung von Arbeitsorganisation. Um zu verstehen, welchen Einfluss die Organisationskultur für eine erfolgreiche Arbeitsorganisation in der postpandemischen Phase hatte, muss die Kultur auf allen Ebenen betrachtet werden. Aus den Reaktionen kulturell unterschiedlich aufgestellter Organisationen auf die pandemiebedingten Veränderungen, lassen sich für die langfristig erfolgreiche Nutzung von hybriden Arbeitsplatzkonzepten nützliche Erkenntnisse ableiten.
Was ist Unternehmenskultur? Für den Begriff gibt es keine allgemeingültige Standarddefinition. Gemäß Hofstede und Hofstede (2009) kann sie als gemeinschaftliche Programmierung des Geistes der Mitglieder einer Organisation betrachtet werden, welche eine Differenzierung von den Mitgliedern anderer Organisationen ermöglicht. Edgar H. Schein, mit dessen Modell Unternehmenskultur auf drei Ebenen differenziert betrachtet wird, definiert sie als „die Summe aller gemeinsamen und selbstverständlichen Annahmen, die eine Gruppe im Laufe ihrer Geschichte erlernt hat” (Schein, 1985). Unterschiedliche verbreitete Ansätze erlauben den Schluss, dass Unternehmenskultur wandelbar ist. Sie verändert sich stetig und kann weiterentwickelt werden. Ihre soziale Struktur wird von den Mitgliedern einer Organisation erschaffen und erhalten und wird von ihnen als selbstverständlich wahrgenommen. Dass sie das Denken und Handeln der Individuen in die gleiche Richtung weist und somit Gemeinschafft erzeugt, geschieht dabei unbewusst (Deeg & Weibler, 2008; Hofstede & Hofstede, 2009; Neuberger, 1989 in Nerdinger, 2003).
Organisationskulturen - als so etwas wie die DNA von Organisationen - entscheiden über deren Umgang mit Veränderung. Wie in Abbildung 1 dargestellt, sind Unternehmen der äußeren Einwirkung technologischer und sozialer Entwicklungen ausgesetzt.
Kontinuierlich erobern beispielsweise technische Innovationen den Markt, die Einfluss auf die Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen, das Geschäftsmodell oder die organisationalen Praktiken haben und oft eines Umdenkens oder der Anpassung bedürfen.
Während der Corona-Pandemie und in den darauffolgenden Jahren bis heute haben sich erhebliche technologische und gesellschaftliche Veränderungen innerhalb von sehr kurzer Zeit herausgebildet. Unternehmen wurden herausgefordert, mit der Geschwindigkeit des Wandels mitzuhalten. Die schnelle Verbreitung des mobilen Arbeitens ergab für viele Unternehmen neue Anforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Dies betraf sowohl die technische Infrastruktur als auch die von Mitarbeitenden geforderten neuen Fähigkeiten. Zunehmend wurde das Homeoffice zur Normalität und für viele Mitarbeitende folglich das eigene Zuhause zum neuen Arbeitsplatz. Um mit dieser oft kaum bekannten Form der Zusammenarbeit umzugehen, war es für viele notwendig, sich in die digitale Kommunikation und Interaktion einzuarbeiten. Inwiefern hatte diese Veränderungen aber einen langfristigen Effekt auf die Arbeitsorganisation und die Kultur der Zusammenarbeit in Unternehmen?
Das Modell der Unternehmenskultur von Schein (1985) in Abbildung 2 erlaubt uns einen differenzierteren Blick und offenbart, auf welchen Ebenen sich Organisationskultur verändern kann.
Hier wird die Unternehmenskultur als Konstrukt mit drei Ebenen beschrieben, welche unterschiedlich schwer veränderbar sind. Auf der Ebene der Artefakte hat sich durch die Pandemie vieles in einem kurzen Zeitraum verändert. Mitarbeitende wurden mit Laptops ausgestattet und Bildschirme durften mitgenommen werden, um das Zuhause technisch aufzurüsten.
Darunter sind die Werte, Ziele und Strategien zu finden. Etwas zeitverzögert haben sich die Unternehmen auch auf dieser Ebene angepasst und es wurden Regeln und Grenzen für das Homeoffice verfasst. Als etwas später die Rückkehr in die Büroräume möglich war, wurden Betriebsvereinbarungen für das mobile Arbeiten beschlossen. Während bei vielen fortan 40, 50 oder 60 Prozent Homeoffice möglich waren, haben einige Unternehmen sogar die komplette Flexibilisierung ausgerufen.
Heute existieren zahlreiche individuelle Auslegungen des hybriden Arbeitsplatzkonzepts und vielerorts ist in Unternehmen die Unzufriedenheit groß. Auf Seiten der Mitarbeitenden gibt es die, die sich viel Flexibilität wünschen, gerne remote arbeiten und Regeln, wie viele Tage in der Woche sie ins Büro kommen sollen, zu starr finden. Und es gibt die, die ihre Kolleg*innen gerne persönlich antreffen, den Mehrwert in der persönlichen Interaktion finden, zu Hause keine adäquaten Arbeitsräume haben. Sie nehmen die Anreise zur Arbeit auf sich und finden dann leere Büros vor. Die Ursachen sind verschieden, das Resultat ist das gleiche: Frustration. Seitens einiger Führungskräfte und Unternehmensleitungen wird ebenfalls der Wunsch laut, dass die Mitarbeitenden wieder häufiger ins Büro kommen. Sie befürchten, dass die Innovationsfähigkeit und die Kreativität leiden und, dass sich dies auf die Arbeitsergebnisse auswirkt. Sie sind besorgt, ihre Mitarbeitenden wären unproduktiver im Homeoffice. Und was, wenn sie ihrer Fürsorgeverantwortung auf Distanz nicht gerecht werden können und der Teamzusammenhalt leidet? Meiner Beobachtung nach gibt es zwei Arten, wie Unternehmen aktuell ihre Arbeitsorganisation langfristig gestalten:
- Unternehmen, die eine offene Auslegung der Arbeitsorganisation auch nach der Pandemie als Potential wahrnehmen und ein möglichst flexibles hybrides Arbeitsplatzkonzept einführen.
- Unternehmen, die in Präsenzarbeit viel Potential sehen. Mitarbeitende werden zurück ins Büro gelockt und geholt, damit mobiles Arbeiten vom Normalfall wieder zur Ausnahme wird.
Natürlich ist dies eine prototypische Unterscheidung und viele Unternehmen finden auch Mittelwege, die dazwischen liegen.
Den Grund für diese unterschiedliche Gestaltung der Arbeitsorganisation sehe ich in der untersten Ebene der Unternehmenskultur, den Grundannahmen. Die Grundannahmen stellen die prägendste Ebene der Unternehmenskultur dar und gleichzeitig diejenige, die am wenigsten bewusst und schwer zu artikulieren und zu verändern ist. Grundannahmen legen fest, welche Meinungen und Überzeugungen vorherrschen und was die Mitglieder einer Organisation für falsch und richtig betrachten.
Unternehmen, die sich bereits vor der Corona-Pandemie durch Offenheit für neue Ideen innerhalb und außerhalb des eigenen Betriebs sowie, Offenheit für neue Herangehensweisen und Neugierde auszeichneten und ihren Mitarbeitenden durch eine unterstützende Fehlerkultur und gegenseitige Wertschätzung gleichzeitig psychologische Sicherheit boten, haben die Flexibilisierung in der Arbeitsorganisation durch die Pandemie eher als Potential genutzt. Die neue Art der mobilen und flexiblen Arbeit passte bereits zu ihren Grundannahmen.
Solche Unternehmen erfüllen die zwei wichtigsten Voraussetzungen, damit die hybride Zusammenarbeit für Arbeitnehmende wie Arbeitgebende gut funktioniert: Vertrauen und Selbstverantwortung. Es braucht Vertrauen, dass Kolleg*innen, Mitarbeitende und Führungskräfte immer bestrebt sind, ihre Arbeit bestmöglich zu erledigen, egal, wo sie sind. Außerdem braucht es Vertrauen in alle Teams, dass diese den für ihre Mitglieder und Aufgaben bestmöglichen Modus der Arbeitsorganisation finden und umsetzen. Auf der anderen Seite steht die Selbstverantwortung, die Mitarbeitende gelernt haben und aktiv übernehmen müssen. Dabei ist es entscheidend, stets beide Seiten der Medaille zu betrachten: Wer Vertrauen erhält, muss Selbstverantwortung zeigen.
Gleichzeitig existieren Organisationen, die sich zuvor eher durch Hierarchieorientierung, Silodenken und Kontrolle auszeichneten. Diese haben zwar auf Ebene der Artefakte und der Werte, Ziele und Strategien alles eingeführt, um das in der Pandemie notwendige,mobile Arbeiten zu realisieren, doch die Veränderung erreichte nicht die tiefste Ebene ihrer Kultur. Die Grundannahmen haben sich nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit geändert und passen nicht zu einer höchst flexiblen Arbeitsorganisation. Es ergibt sich Potential für Konflikte und Unzufriedenheit, denn die Angst vor Kontrollverlust ist hoch, wenn Mitarbeitende kaum noch im Büro sind und die Hierarchieorientierung steht der Entwicklung eigener Ideen im Team entgegen. Das notwendige Vertrauen der Beteiligten ineinander ist keine gemeinsam gelebte Überzeugung. Auch fehlt es an Selbstverantwortung, denn diese haben die Mitarbeitenden in solchen Unternehmen kaum gelernt. Diese zu übernehmen wurde nicht gefördert, sondern eher sanktioniert. Die hybride Zusammenarbeit funktioniert hier nicht. Die Unternehmen tendieren dazu, zum Status quo vor der Pandemie zurückzukehren und die Flexibilität einzuschränken, weil dieser besser zu ihren Grundannahmen passt.
Fazit: Evidenzbasierte Konzepte hybriden Arbeitens als langfristige Lösung
Die Unternehmenskultur in Organisationen hat also eine entscheidende Rolle in der langfristigen Gestaltung von hybriden Arbeitsplatzkonzepten in Unternehmen. Diese Rolle ist umso größer, je weniger bewusst die Gestaltung von Arbeitsorganisation gesteuert wird. In vielen Organisationen hat sich nach der Pandemie ein Konzept „ergeben“, welches sich aus den Präferenzen der Mitarbeitenden und dem Bauchgefühl der Führungskräfte oder der Leitungsebene ergibt. Je nach Unternehmenskultur variieren die resultierenden Konzepte. Ein Schlüssel zu nachhaltigen und tragfähigen Lösungen sind evidenzbasierte und ganzheitliche Konzepte hybriden Arbeitens, bei denen sich die Forderung nach Präsenz aus inhaltlichen und betrieblichen Anforderungen ableitet: Wer muss wie oft und vor allem für welche Tätigkeiten oder Formate ins Büro kommen? Gleichzeitig sollten sowohl im virtuellen als auch im physischen Raum Tools und Formate für den überfachlichen und sozialen Austausch gestaltet werden, um zufällige Begegnungen und Kommunikation zu ermöglichen und das Potential hybrider Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen.
Quellen:
- Hofstede, G. & Hofstede, G. J. (2009). Lokales Denken, globales Handeln. Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management (4. Auflage). Deutscher Taschenbuch Verlag, München.
- Schein, E. H. (1985). Organizational Culture and Leadership. Jossey-Bass Publishers, San Francisco
- Deeg, J. & Weibler, J. (2008). Die Integration von Individuum und Organisation. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
- Nerdinger, F. W. (2003) Grundlagen des Verhaltens in Organisationen. Kohlhammer, Stuttgart.
9.10.2023
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