Wer von Beratung profitiert
Wie können Schüler*innen aus niedrigen sozialen Schichten unterstützt werden, ein Studium nach dem Abitur aufzunehmen? Es gibt einige Beratungsprogramme in Deutschland, die Schüler*innen auf dem Weg zur Hochschule unterstützen sollen – aber nutzen sie allen Schüler*innen gleichermaßen? In der gerade veröffentlichten Studie „Wer profitiert von einer individuellen Beratung in der Oberstufe? Eine Analyse von Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund niedriger sozialer Herkunft“ haben Irena Pietrzyk, Marita Jacob (beide Universität Köln) und WZB-Forscherin Melinda Erdmann untersucht, welche Auswirkungen eine individuelle und intensive Beratung auf die Aufnahme eines Studiums hat. In den Blick wurde dabei insbesondere genommen, ob sich innerhalb der Gruppe von Schüler*innen ohne akademischen Hintergrund die Wirkung auf die Studienaufnahme je nach Migrationsstatus der Schüler*innen unterscheidet.
Die empirischen Ergebnisse, die auf Daten einer randomisiert kontrollierten Studie an deutschen Schulen basieren, zeigen, dass die Beratung im Allgemeinen Teilnehmer*innen, deren Eltern keinen Studienabschluss haben, dazu motiviert und dabei unterstützt, ein Studium aufzunehmen. Hierin erweist sich die Beratung also als sehr wirkungsvoll. Abiturient*innen ohne akademischen Hintergrund und mit Migrationshintergrund nehmen allerdings auch ohne Beratung bereits häufiger ein Studium auf, weil sie im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund stark nach sozialem Aufstieg streben. Entsprechend fällt die Beratungswirkung für diese Gruppe verhältnismäßig gering aus.
Ausbildung statt Studium
Dagegen verzichten Abiturient*innen ohne akademischen Hintergrund und ohne Migrationshintergrund vergleichsweise häufig auf die Aufnahme eines Studiums zugunsten einer beruflichen Ausbildung, wenn sie nicht an einer Beratung teilnehmen. Sie werden nun durch externe Berater*innen darin unterstützt, nach dem Abitur doch ein Studium zu beginnen, was sich in einer vergleichsweise hohen Beratungswirkung widerspiegelt. Die Ergebnisse der Studie legen zudem nahe, dass der positive Effekt der Beratung für Schüler*innen ohne Migrationshintergrund darauf zurückgeht, dass die Beratung ihre Wahrnehmung der Studienkosten senkt, während Schüler*innen mit Migrationshintergrund durch die Beratung zusätzlich in ihrem ohnehin schon stark ausgeprägten Wunsch sozial aufzusteigen, anscheinend weiter bestärkt werden.
Entscheidung fürs Studium: Schüler*innen mit Migrationshintergrund sind Vorbilder
Die Studie hebt die Bedeutung spezifischer und zielgerichteter Unterstützung für Schüler*innen mit niedrigem sozialen Status hervor und weist die positive Wirkung von individuellen Beratungen nach. Zudem bietet sie eine neue Perspektive auf den Migrationsstatus von Schüler*innen niedriger sozialer Herkunft: Während Schüler*innen ohne akademischen Hintergrund und ohne Migrationshintergrund bezüglich ihrer Studienentscheidung als besonders benachteiligt gelten, sind Schüler*innen ohne akademischen Hintergrund und mit Migrationshintergrund eine Gruppe, deren ambitionierte Bildungsentscheidung Vorbildcharakter für andere haben kann.
Die Studie gehört zum Forschungsprojekt „Zukunfts- und Berufspläne vor dem Abitur“ (ZuBAb). Es setzt es sich zum Ziel, einen umfangreichen Eindruck der Zukunftspläne heutiger Oberstufenschüler*innen für die Zeit nach der Schule zu gewinnen und darüber hinaus Erkenntnisse darüber zu erlangen, wie deren Verwirklichung zusätzlich unterstützt werden kann. ZuBAb ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Universität zu Köln und dem WZB.
23.1.24/kes