Die Arbeit der AfD in den Landtagen
Die Alternative für Deutschland (AfD) erweist sich in ihrer parlamentarischen Landtagsarbeit als sehr heterogen. Sie agiert in unterschiedlicher regionaler Ausprägung „bipolar“: als Bewegung und als herkömmliche Parlamentspartei. Dies zeigt die erste empirische Untersuchung der AfD-Arbeit in 10 Landesparlamenten von Sommer 2014 (Sachsen) bis Mai 2017, die am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) ein Team um die Forscher Wolfgang Schroeder (Universität Kassel/WZB) und Bernhard Weßels (WZB) vorgelegt hat. Die Politikwissenschaftler haben Parlaments-Dokumente und Mediendarstellungen ausgewertet und Interviews mit Fraktionsvorsitzenden und -geschäftsführungen der AfD und den anderen in den betreffenden Landtagen vertretenen Parteien geführt.
Die AfD-Fraktionen bestehen aus Parlamentsneulingen. Die meisten ihrer Abgeordneten in den 10 untersuchten Landtagen haben noch nie in einem Landesparlament mitgearbeitet. Die Dominanz der Männer ist so stark wie in keiner anderen Fraktion; der Frauenanteil liegt bei 14 Prozent. Die untersuchten AfD-Landesfraktionen zeichnen sich durch unterschiedliche Stile und Strategien aus. Es sind ein eher parlamentsbezogener und ein eher „bewegungsorientierter“ Fraktionstyp erkennbar. Der parlamentsbezogene Typ ist vorwiegend an einer konstruktiven Opposition orientiert, sucht parlamentarische Anerkennung und will die parlamentarische Repräsentationslücke rechts von der Union nutzen. Der eher bewegungsorientierte Fraktionstyp sieht die parlamentarischen Aktivitäten als einen Baustein in einer Reihe von Maßnahmen, um die politische Kultur zu verändern. Er neigt eher und stärker zu tabuverletzendem Verhalten. Die unterschiedliche Grundorientierung steht und fällt mit dem Fraktionsvorsitzenden und seinem engeren Umfeld (Fraktionsgeschäftsführer, wichtige Abgeordnete, Mitarbeiter). Damit ist in der Tendenz auch das Verhalten der Abgeordneten einer Fraktion gekennzeichnet, auch wenn in allen Fraktionen Abgeordnete beiden Typs arbeiten.
Besonders auffällig sind die Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Fraktionen, was die Abgeordnetenprofile und den -typ betrifft. So gibt es im Osten einerseits mehr jüngere Abgeordnete und auffallend viele, die zuvor als Selbstständige aktiv waren. Andererseits sind die ostdeutschen Landtagsfraktionen mit Ausnahme von Sachsen dem bewegungsorientierten Typ zuzuordnen.
AfD-Fraktionen legen mehr als doppelt so viel Gewicht auf Themen und Probleme in den Bereichen Asyl, Flüchtlingsfragen, Migration und Integration wie die anderen Landtagsfraktionen. Interessanterweise gibt es im Vergleich zu den anderen Fraktionen bei den Kleinen Anfragen und Anträgen keinen Schwerpunkt bei Fragen der inneren Sicherheit, also Kriminalität, Sicherheit und Ordnung.
Aufschlussreich sind das Plenarverhalten und die Mitarbeit in den Ausschüssen. Die Neulinge haben sich nur zögerlich die benötigten Kompetenzen erworben. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die konstruktive Mitarbeit in den Ausschüssen weit hinter dem normalen Partizipationsniveau der anderen Parteien zurückbleibt. Dagegen wird das Plenum als Bühne genutzt, um die Kernanliegen mit Hilfe von Online-Medien an die eigenen Mitglieder, Wähler und Unterstützergruppen zu vermitteln und diese so zu mobilisieren.
Da die AfD, anders als die Bundestagsparteien, keine Verankerung in den klassischen Vorfeldorganisationen (Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden etc.) hat und keine inhaltlich affinen Massenmedien auf ihrer Seite stehen, nutzt sie die neuen Medien offensiver als alle anderen Parteien.
Die Analyse der Forscher zeigt, dass ein Schlüssel für die multidimensionale Erfolgsgeschichte der AfD ihre heterogene und bipolare Struktur ist, die zugleich Basis ihrer Strategiebildungen ist. Da diese bipolare Dimension zwischen Parlaments- und Bewegungsorientierung für die anderen Fraktionen schwer berechenbar ist, besteht dort nach wie vor eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der AfD. Dabei hat sich als Grundmuster zur Verhinderung einer AfD-Opferrolle die Formel „auseinandersetzen statt ausgrenzen“ durchgesetzt. Dies zeigt, dass der Länderparlamentarismus eine robuste Integrationsfähigkeit besitzt, wie die Forscher in ihrer Studie feststellen.
Die Studie ist als Discussion Paper erschienen: Wolfgang Schroeder/Bernhard Weßels/Alexander Berzel/Christian Neusser: Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten. WZB Discussion Paper SP V 2017-102, Juni 2017.
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