Nahaufnahme Bundeswehruniformen
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Geld für Rüstung ja, aber nicht 100 Milliarden

Von Ronja Demel und Onno Steenweg

Anlässlich der russischen Invasion in die Ukraine Ende Februar 2022 sah sich die Bundesregierung genötigt, die deutschen Rüstungsausgaben zu erhöhen. Doch die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bereitzustellen, überraschte viele – und stieß auf zwiespältige Meinungen.

Einer der Kritikpunkte zielte darauf ab, dass auch andere wichtige Bereiche der Bundespolitik stark unterfinanziert seien, für die aber kein Sondervermögen im Bundeshaushalt vorgesehen wäre. Statt an Geld fehle es also oft am Willen der Politik, so das Argument der Kritiker*innen. Im Rahmen einer Online-Panel-Studie des interdisziplinären Forschungsprojekts „Social Cohesion and Civil Society“ der Berlin University Alliance (BUA) zu Einstellungen der deutschen Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine wurden die Teilnehmer*innen gefragt, wie sie die 100 Milliarden Euro eines Sondervermögens ausgeben würden, wenn sie die volle Kontrolle darüber hätten. Zur Auswahl standen dafür folgende zehn zentrale Politikbereiche: Verteidigung, Rente, Klima, Bildung, Familien, Digitale Infrastruktur, Verkehr, Arbeitslosigkeit, Kultur sowie Integration.

Gewünschte Verteilung im April 2022

Zunächst lässt sich festhalten: In unserer ersten Befragung im April 2022 zeigte sich, dass die Verteidigung für die Befragten tatsächlich das wichtigste Ressort für die Geld-Gießkanne war. Etwas mehr als ein Fünftel des Geldes, also etwa 20 Milliarden Euro des Sonderhaushalts sollten durchschnittlich in die Bundeswehr fließen. Jeweils zwischen 10 und 15 Milliarden Euro sollten den Befragten zufolge im Durchschnitt den Bereichen Rente (14,3 Mrd.), Klimaschutz (12,51 Mrd.), Bildung (12,16 Mrd.) und Familien (10,90 Mrd.) zukommen. Weniger finanzielle Zuschüsse zu benötigen, schienen den Befragten die Themenbereiche Kultur und Integration mit jeweils durchschnittlich rund 4 Milliarden Euro.

Stabile Einstellungen im Laufe der Zeit

Die Frage nach den Wunschverteilungen haben wir denselben Teilnehmenden unserer Studie im Januar 2023 – also knapp ein Jahr nach Beginn des Krieges – noch einmal gestellt. Wenn man sich die Veränderung der Angaben von 2023 im Vergleich zum Vorjahr anschaut, stellt man fest: Viel verändert hat sich nicht. Insgesamt erweist sich die Verteilung für die jeweiligen Politikbereiche der gewünschten Geldbeträge damit über einen längeren Zeitraum hinweg als relativ stabil. Das ist vor allem mit Blick auf die dynamische und unvorhersehbare Entwicklung des Krieges und seine Auswirkungen in Deutschland zwischen den beiden Zeitpunkten der Befragung überraschend.

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Das gewünschte Budget für einzelne Politikbereiche im April 2022 und Januar 2023

Die Grafik zeigt die im Mittel gewünschten Budgetverteilungen zu den beiden Erhebungszeitpunkten (April 2022 und Januar 2023). Die durchschnittliche Berechnung basiert auf N= 1398 (April 2022) bzw. N= 1058 (Januar 2023).

Erst bei genauerer Betrachtung spiegeln sich dennoch einige gesellschaftliche Entwicklungen der vergangenen Monate wider. Der Kriegsbeginn und die damit einhergehende Ungewissheit bereiteten im Frühjahr 2022 den Bundesbürger*innen Sorge. Die Befürchtungen über eine zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durch den Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine haben sich jedoch nicht bestätigt. Vielmehr ist der Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt 2022 noch deutlicher zum Vorschein getreten. Der Zustrom an Arbeitskräften konnte sogar den Arbeitsmarkt deutlich entlasten. Das spiegelt sich auch in den Antworten unserer Umfrage wider. So wollten die Befragten rund 10 Prozent weniger (minus 0,75 Milliarden Euro) des hypothetischen Sondervermögens für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland ausgeben. Auch die Sorgen um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr oder allzu starke Belastungen von Familien durch steigende Lebenshaltungskosten und Inflation schienen sich in den Umfrageergebnissen nicht niederzuschlagen. So wollten unsere Befragten 2023 auch in diesen beiden Bereichen etwas weniger Geld ausgeben. Im Gegensatz dazu wurden Themen wie Klima, Bildung oder Verkehr, die zu Kriegsbeginn in den Hintergrund getreten waren, den Befragten wieder wichtiger. Schließlich hat auch der Befragungszeitpunkt im Januar 2023 einen möglichen Einfluss auf die gewünschten Verteilungen genommen. Nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht 2022 in Berlin und anderen Städten und der anschließenden Migrationsdebatte wünschten sich vor allem die Wähler*innen von CDU/CSU, FDP und AfD mehr Geld für die Integration – bei AfD-Wähler*innen stieg das gewünschte Budget gleich um 250 Prozent.

Abnehmende Differenzen zwischen Parteiwähler*innen

Unsere Daten erlauben es uns ebenfalls, die Präferenzen in verschiedenen soziodemografischen Gruppen näher zu betrachten. Die Unterschiede in den gewünschten Budgetverteilungen zwischen den Wähler*innen der verschiedenen Parteien haben im Laufe des ersten Kriegsjahrs an Bedeutung verloren. Die Wähler*innen der Union und der FDP wollten im April 2022 mit Abstand das meiste Geld für die Verteidigung ausgeben. Knapp ein Jahr später sanken die durchschnittlich präferierten Geldbeträge bei den CDU-Wähler*innen um 4,2 Milliarden Euro, bei den FDP-Wähler*innen um rund 5,6 Milliarden Euro. Im Gegenzug wollten Wähler*innen der Linken, der AfD sowie der Grünen, die im April 2022 noch am wenigsten Geld für die Rüstung ausgeben wollten, in der Befragung Anfang 2023 mehr in die Verteidigung investieren. Bei den Wähler*innen der Grünen sehen wir ein gewünschtes Plus von 2,5 Milliarden. Ähnliche Trends lassen sich in den Bereichen Familien, Rente und Arbeitslosigkeit ausmachen (siehe Abbildung 2).

Die Grafik (Download) zeigt die durchschnittliche Veränderung nach Parteipräferenz im Zeitraum von April 2022 bis Januar 2023, N= 1398 (April 2022 bzw. N= (Januar 2023).

Ein weiteres Indiz für die Annäherung der Präferenzen ist, dass Befragte mit niedrigerer Bildung Anfang 2023 deutlich mehr Geld für Bildung (plus 14 Prozent), Klima (plus 8 Prozent) und Integration (plus 47 Prozent) ausgeben würden – also genau für die Themen, die vor allem den Befragten mit höherer Bildung im April 2022 wichtig waren. Dafür wurde das Thema Arbeitslosigkeit bei Personen mit niedrigerer Bildung als deutlich weniger wichtig eingeschätzt (minus 30 Prozent). Der Wert hat sich damit deutlich den Präferenzen der mittel- und höhergebildeten Befragten angeglichen.

Klima und Digitalisierung auch älteren Menschen wichtig

Den politischen Präferenzen der Menschen wird oft ein zugrundeliegender Generationenkonflikt nachgesagt. In unserer Befragung zeigt sich, dass Themen der jüngeren Generation durchaus auch von den Älteren als finanziell unterstützenswert angesehen werden. So ist beispielsweise der Klimaschutz generationsübergreifend eines der wichtigsten politischen Themen zu beiden Erhebungszeitpunkten. Im April 2022 wollten ältere Teilnehmende (zwischen 50 und 69 Jahren) mit durchschnittlich 12,9 Milliarden Euro sogar etwas mehr Geld für den Klimaschutz ausgeben als die jüngeren Befragten zwischen 18 und 30 Jahren (12,5 Milliarden Euro). Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Thema digitale Infrastruktur. Hier bewegen sich alle gemessenen Durchschnittswerte über Jahre und Generationen hinweg zwischen 7,5 und 8,9 Milliarden Euro. Damit zeigt sich, dass das Bewusstsein für die Themen unabhängig vom Alter der Befragten ist.

Fazit

Die relative finanzielle Wichtigkeit verschiedener Politikbereiche – gemessen an einer hypothetischen Verteilung eines Sondervermögens über 100 Milliarden Euro – ist in der deutschen Bevölkerung im ersten Jahr des russischen Angriffskriegs weitgehend stabil geblieben. Die Verteidigung ist der Politikbereich, in den die deutsche Bevölkerung am meisten investieren möchte. Mit durchschnittlich 20 Prozent ist er aber nicht der einzige Politikbereich, in den Gelder fließen sollten. Interessant ist, dass die Unterschiede in der gewünschten Verteilung der finanziellen Mittel auf einzelne Politikbereiche zwischen einigen soziodemografischen Gruppen zurückgegangen sind und sich im Verlauf des Jahres angeglichen haben.


03.07.2023