Mehr über Migration lernen

„WZB wirkt“ heißt ein Transfer-Programm des WZB. Mit dabei sind in diesem Jahr WZB-Migrationsforscherin Julia Stier und Sophia Burton von der Nichtregierungsorganisation (NGO) „Migration Matters“. Zusammen bieten die beiden in der Reihe "Forschung trifft Schule" Workshops für Schüler*innen an, unlängst an einer Freien Waldorfschule im Osten Berlins.

In einem schönen Gebäude ist die Freie Waldorfschule Berlin-Südost untergebracht. Ein Industriebau aus Baustein, früher eine Färberei, direkt an der Spree gelegen. Eine hübsche Mensa mit gusseisernen Säulen, Bögen, die den Gang zwischen den Gebäuden teilen, idyllisch sieht es hier aus. Zum Courage-Tag versammeln sich die älteren Schüler*innen an diesem Freitagvormittag im Oktober im Hörsaal. Es gilt, ein Zeichen gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung in der aufgeheizten Migrationsdebatte zu setzen. Schüler*innen mit Migrationshintergrund gibt es nur wenige an der Schule, aber Migration ist in Berlin allgegenwärtig. Ziel ist es, eine Schule gegen Rassismus zu werden und dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ beizutreten.

Mit dabei an diesem Freitagvormittag in Berlin-Niederschöneweide sind WZB-Migrationsforscherin Julia Stier und Sophia Burton von der NGO „Migration Matters“. Ihr Workshop lockt 25 Waldorfschüler*innen aus verschiedenen Klassen an, die zusammen mit Lehrerin Jana Blöchle über Migration und Rassismus sprechen und diskutieren. Welche Rolle spielt Identität für das Zugehörigkeitsgefühl, und wie stellen Diskriminierung und Rassismus die Zugehörigkeit bestimmter Gruppen in Frage?

Doch wie nähert man sich einem so komplexen Thema? Ein kleines Spiel zur Identität ist später im Klassenraum der Türöffner für die ganz großen Themen. Wie würdet ihr euch in drei Worten beschreiben? Gar nicht so einfach, vor allem für junge Menschen, die in der Pubertät stecken. Hilfsbereit, freundlich, jung, groß, hübsch, aber auch hochsensibel schreiben einige auf die Post-its. Oft gesteht man sich positive Eigenschaften zu. Aber welches Urteil fällt man über andere Menschen? Wie man in der Gesellschaft wegen seiner Herkunft und seines Aussehens wahrgenommen wird, hat einen großen Einfluss auf das eigene Leben - das wird in der Diskussion mit den Schüler*innen deutlich. Oft steckt man Menschen, die anders, gar fremd aussehen, schnell in eine Schublade, sagt eine Schülerin.

„Es geht darum, Wissen zu Migration und Integration zu vermitteln, um eine differenzierte Diskussionskultur zu etablieren“, sagt Forscherin Julia Stier, die am WZB zur Migration aus dem Senegal und Gambia promoviert. Reflektiert und differenziert sind die Jugendlichen hier schon; Fragen und Erfahrungen werden lebhaft erörtert. Gemeinsam schaut die Runde Videos von „Migration Matters“ an, bei der Migrant*innen aus ganz Europas interviewt wurden. In kleinen Gruppen werden Begriffe wie Identität, Diskriminierung, Rassismus und Zughörigkeit diskutiert. Was kann man gegen Diskriminierung tun? Wie kann man Migrant*innen unterstützen? Wer entscheidet über Zugehörigkeit? Die Gesellschaft, die Politik?

Julia Stier und Sophia Burton erklären Begriffe, machen deutlich, was zum Beispiel institutionalisierter Rassismus ist und wie oft in manchen Bereichen Menschen wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft diskriminiert werden. „Integration kann erst stattfinden, wenn sie in der Gesellschaft akzeptiert wird; sie muss von beiden Seiten gelebt werden", sagt Sophia Burton, die 2016 „Migration Matters“ mitgegründet hat.

Es ist viel Stoff an diesem Vormittag, auch wenn er in kleinen Portionen präsentiert wird. Ansätze zum Weiterdiskutieren gibt es viele. „Migration ist die Zukunft. Wir brauchen mehr Aufklärung an den Schulen, aber auch zwischen den Generationen“, sagt ein Schüler gegen Ende des Workshops. Und auch Perspektiven für Migrant*innen. Für die Schulen bleibt viel zu tun, ein guter Anfang ist in der Waldorfschule-Südost gemacht.

12.10.23 / Kerstin Schneider