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Klarer über Europa reden

Warum europäische Entscheidungsträger ihre Kommunikation verbessern müssen

Kritische öffentliche Debatten bringen die Europäische Union unter Rechtfertigungsdruck. Verschiedene aktuelle Studien zeigen aber, dass die öffentliche Kommunikation der europäischen Entscheidungsträger kaum angemessen darauf reagiert: Die politische Kommunikation von und über die EU ist für Bürger*innen schwer verständlich und hat oft eher verschleiernden Charakter. Im aktuellen politischen Klima ist das riskant, wenn nicht sogar gefährlich. Bestenfalls ist unklare Kommunikation eine vertane Chance, um den Mehrwert politischer Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg aufzuzeigen. Schlimmstenfalls untergräbt sie aber die öffentliche Unterstützung für den europäischen Einigungsprozess.

Politische Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg erscheint heute wichtiger denn je. Einerseits machen gesellschaftliche Herausforderungen – wie Migration oder Klimawandel – kaum an nationalen Grenzen halt und können gemeinsam effektiver bewältigt werden. Andererseits können geteilte Interessen und Werte von Staaten in einem zunehmend konfliktträchtigen internationalen Umfeld gemeinsam besser vertreten werden. Genau das ist der Anspruch, den die Europäische Union – das am weitesten entwickelte politische System jenseits des Nationalstaats – in ihren grundlegenden Verträgen an sich selbst hat.

Wenn aber mehr politische Kompetenzen in der EU gebündelt oder gar an sie abgegeben werden, steigen auch die gesellschaftlichen Ansprüche an sie. So diagnostizieren viele Studien, insbesondere auch aus der WZB-Forschung, eine öffentliche Politisierung der EU. Die öffentliche Meinung zur EU differenziert sich, mediale Debatten werden intensiver, und die EU wird oft auch zu einem wichtigen Streitthema in nationalen Wahlkämpfen. Gerade autoritär-populistische Parteien mobilisieren dabei gegen eine vermeintlich bürgerferne europäische Technokratie.

Solche kritischen Debatten sind aus demokratischer Sicht willkommen und bieten auch die Chance, den europäischen Einigungsprozess mit den Interessen der Bürger*innen in Einklang zu bringen. Für ein so unfertiges und komplexes politisches Gebilde wie die EU stellen sie aber auch ein Risiko dar: Unzufriedenheit mit bestimmten Entscheidungen der EU kann schnell in Fundamentalopposition gegen das politische System als solches umschlagen.

Die Europäische Union steht deshalb unter zunehmendem Rechtfertigungsdruck. Um ihre Unterstützung nicht zu verlieren, muss sie ihren Bürger*innen erklären, was sie tut, warum sie es tut und wie sie es tut. Deshalb befassen sich einige meiner Forschungsprojekte mit der Qualität der politischen Kommunikation von und über die EU.

Die Kommunikation der EU-Kommission ist zu komplex

Eine jüngst erschienene Studie nimmt dazu die Europäische Kommission in den Blick. Während die Kommission in den Anfangstagen der europäischen Einigung vor allem mit Diplomaten und Experten kommunizieren musste, ist sie heute die sichtbarste supranationale Institution der EU und damit oft auch ihr öffentliches Gesicht. Deshalb wollte ich verstehen, ob sich ihre öffentliche Kommunikation dieser Rolle angepasst hat. Dazu habe ich alle fast 45.000 Pressemitteilungen der Kommission zwischen 1985 and 2020 in einen maschinenlesbaren Datensatz überführt und diesen mit algorithmischen Methoden auf Verständlichkeit hin untersucht. Konkret erfassen meine Indikatoren die grammatikalische Komplexität, die Häufigkeit von seltenen Fachbegriffen und die Handlungsorientierung, die sich in diesen Texten ausdrückt. Die Befunde sind ernüchternd: Die öffentliche Kommunikation der Europäischen Kommission ähnelt in ihrer Sprache eher wissenschaftlichen Fachpublikationen, ist in ihrer Verständlichkeit aber meilenweit von nationalen Pressemitteilungen oder der politischen Berichterstattung in Zeitungen entfernt. An diesem Muster hat sich über die 35 beobachteten Jahre kaum etwas geändert. Und das, obwohl in dieser Zeit die politischen Kompetenzen, aber auch die öffentliche Umstrittenheit der Kommission stark zugenommen haben.

Klarere Botschaften erzeugen mehr Engagement

Man muss aber auch anmerken, dass die Kommission und andere supranationale EU-Institutionen in den letzten Jahren zunehmend versuchen, über soziale Medien direkt mit den Bürger*innen zu kommunizieren. Unsere Untersuchungen solcher Kommunikation auf Twitter zeigen aber auch hier eine überdurchschnittliche, komplexe Sprache. Dort, wo die supranationale Kommunikation von diesem Muster abweicht – Beispiele sind die personalisierte Kommunikation einzelner Kommissare wie etwa von Margrethe Vestager oder Frans Timmermans –, interagieren Nutzer*innen auch stärker mit ihnen. Je klarer die Sprache eines europäischen Tweets, desto mehr Kommentare, Likes, oder Weiterleitungen sind zu beobachten. Klarere Botschaften erzeugen also mehr Engagement. Dies gilt im Übrigen auch für Journalist*innen: Je klarer supranationale Institutionen kommunizieren, desto eher werden sie in öffentlichen Medien zitiert, wie es etwa eine Studie zur Europäischen Zentralbank kürzlich demonstriert hat.

Auch die nationale Politik ist gefragt

Im Mehrebenensystem der EU kommt es aber nicht nur auf die supranationalen Institutionen an. Auch nationale Akteure spielen in der gemeinsamen Entscheidungsfindung eine entscheidende Rolle. Sie stehen deshalb auch bei der öffentlichen Rechtfertigung dieser Entscheidungen in der Pflicht. Doch auch hier finden sich kommunikative Mängel.

In einer Analyse der Reden von Staats- und Regierungschefs während der Eurokrise stellen wir fest, dass diese immer dann weniger klar über die EU kommunizieren, wenn sie sich einer europaskeptischeren Meinung oder starken europaskeptischen Parteien gegenübersehen. Ein ähnliches Muster finden wir in den Debatten nationaler Parlamente (ein Videointerview zu dieser Studie findet sich hier): Abgeordnete sprechen tendenziell weniger über die EU, wenn sich die öffentliche Meinung gegenüber der EU-Mitgliedschaft verschlechtert. Diese Befunde deuten darauf hin, dass man kritische öffentliche Debatten über die EU mittels unklarer rhetorischer Signale zu umschiffen versucht.

Warum komplexe Sprache riskant ist

Manche Beobachter argumentieren, dass eine solch unscharfe Kommunikation auch eine rationale Strategie sein kann – Stichwort: Politisierungsmanagement. So argumentiert etwa der EU-Kolumnist des Economist in Reaktion auf meine Befunde, dass eine komplexe und unklare Sprache auch Vorteile habe. In einem politischen System, das auf konsensuale Entscheidungen ausgelegt ist, könne es sinnvoll sein, hitzige politische Debatten zu entschärfen.

Es ist zweifelsohne richtig, dass die gemeinsame Entscheidungsfindung in der EU oft Ruhe und diplomatisches Geschick benötigt. Es ist aber auch zweifelhaft, ob sich kritische öffentliche Debatten über die EU dauerhaft unterdrücken lassen – abgesehen davon, dass dies in Demokratien nicht angemessen ist. Unterstützung für gemeinsame Entscheidungen lässt sich nur generieren, wenn diese auch erklärbar und begründbar sind.

Schwer verständliche Sprache erzeugt zudem direkte Nachteile im politischen Wettbewerb mit europaskeptischen Akteuren. Einerseits unterstreichen die oben skizzierten Befunde, dass unklare Botschaften weniger häufig von Journalisten vermittelt werden und für weniger Engagement aufseiten der Bürger*innen sorgen. Pro-europäische Botschaften dringen so nicht durch. Andererseits gibt es erste Hinweise, dass schwer verständliche Sprache selbst das Wissen über sowie die Wahrnehmung der EU selbst beeinflussen. Eine vorab veröffentlichte experimentelle Studie mit deutschen Befragten zeigt, dass komplexe Sprache die Verarbeitung von politischen Fakten untergräbt und zu einer stärker wahrgenommenen sozialen Distanz zwischen Empfänger und Sender der Botschaft führt. Die komplexe Sprache europäischer Akteure kann damit selbst das Narrativ einer bürgerfernen Technokratie stützen.

Wenn europäische Entscheidungsträger also an gemeinsamer Entscheidungsfindung interessiert sind, die auf die Unterstützung der europäischen Bürger*innen baut, dann müssen sie klarer über Europa reden.

13.03.2023

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