Das kosmopolitische Virus - Vor Corona sind nicht alle gleich
Ein Beitrag von Ruud Koopmans
Auch Boris Johnson ist betroffen. Am 27. März 2020 wurde bekannt, dass der britische Premierminister positiv auf Corona getestet wurde, wie übrigens auch sein Gesundheitsminister – und Kronprinz Charles. Die Liste der prominenten Infizierten ist lang und wird täglich länger: Fürst Albert von Monaco, die stellvertretende spanische Ministerpräsidentin Carmen Calvo, Rand Paul als erster US-Senator, Michel Barnier, der für die EU den Brexit verhandelt hat, zwei brasilianische Minister und vier aus Burkina Faso. Hochrangige deutsche Politiker wie Friedrich Merz, einer der aussichtsreichsten Kandidaten auf die Merkel-Nachfolge, der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sind ebenfalls darunter. Im Sport sind etwa Paolo Dybala von Juventus Turin und Kozo Tashima, der Vorsitzende des japanischen Fußballverbands, betroffen; der frühere Präsident von Real Madrid starb am 21. März. Aus der Filmbranche sind Tom Hanks und Idris Elba zu nennen, im Geschäftsleben António Vieira Montero, der den portugiesischen Zweig der Santander-Bank leitete und der zweite Corona-Tote seines Landes wurde. Der spanische Opernstar Placido Domingo ist infiziert, die kamerunische Jazz-Legende Manu Dibango starb am 24. März in einem Pariser Krankenhaus.
Nun ist es bei einer Pandemie dieses Ausmaßes nur natürlich, dass auch Prominente betroffen sind – zumal sie eher mehr soziale Kontakte als der durchschnittliche Bürger haben und damit ein erhöhtes Risiko, sich mit Krankheiten zu infizieren. Aber es sieht doch so aus, als sei die Wucht, mit der das Coronavirus gerade die Mächtigen, Reichen und Berühmten dieser Welt trifft, bei Weitem nicht durch Statistik oder durch die hohe Zahl ihrer Kontakte zu erklären. Am 3. April 2020 gab es weltweit eine Million bestätigte Corona-Infizierte. Die Zahl ist beeindruckend – andererseits geht es um lediglich 0,01 Prozent der zurzeit etwa 7,8 Milliarden Menschen auf dem Globus. Anders ausgedrückt: Weniger als ein Mensch unter 8.000 hat sich bislang angesteckt. Die obige Liste, die bei Weitem nicht erschöpfend ist, legt nahe, dass unter Adligen, Politikern, Sportlerinnen und Künstlern eine andere Quote herrscht.
Hierfür gibt es einen naheliegenden Grund: Zumindest in den ersten Wochen und Monaten hat sich das Coronavirus entlang internationaler Netzwerke über die Welt verbreitet. Die Klasse der Kosmopoliten, die regelmäßig ins Ausland reisen, um an Gipfeln, Konferenzen, Konzerten, Wettbewerben teilzunehmen, hat ein sehr viel höheres Infektionsrisiko als normale Bürger, die sich in ihrem Alltag eher im lokalen oder vielleicht nationalen Rahmen bewegen. Und selbst bei Menschen, die am Anfang der Pandemie außerhalb von China betroffen waren und die nicht zu diesen Kosmopoliten zu zählen sind, spielten internationale Kontakte eine Rolle. Erwähnt seien das Champions-League-Spiel zwischen Atalanta Bergamo und Valencia am 19. Februar, das als „Spiel Null“ der europäischen Corona-Krise berühmt wurde, oder die Verbreitung des Virus in Europa durch Skiurlauber aus Tirol.
Zwar werden in der Klasse der hochmobilen Kosmopoliten ziemlich viele infiziert, aber wahrscheinlich werden verhältnismäßig wenige von ihnen daran sterben – schlicht deswegen, weil sie jünger und gesünder sind und besseren Zugang zu Tests und Medizin haben. Die Fürsten unserer globalisierten Welt werden vielleicht leichter angesteckt, aber sie sterben weniger leicht. Die anderen, die nicht zu dieser Klasse gehören oder die sich weder ein Champions-League-Ticket noch Skiferien in den Alpen leisten können, haben zwar bislang eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, aber vor allem die Älteren unter ihnen haben ein großes Risiko für einen tödlichen Ausgang. Und wenn die Pandemie nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, wird die ungleiche soziale Verteilung der Ansteckung abnehmen. Das Virus hat sich inzwischen überall auf der Welt festgesetzt; jetzt kann es sich lokal weiterverbreiten, auch ohne internationale Netzwerke.
Während viele Kosmopoliten die Möglichkeit haben, ins Homeoffice zu wechseln, um sich selbst und andere zu schützen, müssen die Angehörigen der plötzlich so wertgeschätzten „systemrelevanten Berufsgruppen“, im Gesundheitswesen, in der Lebensmittelproduktion, im Einzelhandel oder im Sicherheitsbereich, weiterhin ihre Arbeit mitten in der Gesellschaft ausüben und sich damit dem Virus unmittelbar aussetzen. So halten sie die Gesellschaft am Laufen. Auf längere Sicht werden die ökonomischen Folgen der Corona-Krise überproportional von genau jenen eher lokal vernetzten Teilen der Bevölkerung getragen werden müssen; ihre „Unverzichtbarkeit“ könnte kurzlebig sein.
Die politischen Folgen dieser sozialen Dimension der Pandemie werden erst nach und nach zu sehen sein. Eine zentrale Frage ist, ob der Populismus weiter an Bedeutung gewinnen wird – immerhin profitiert diese Bewegung von der sozialen Kluft zwischen Kosmopolitanismus und lokaler Verwurzelung. Eins aber ist jetzt schon klar: Der Sensenmann „COVID 19“ mäht nicht alle gleich, sondern geht sozial äußerst differenziert vor.
4.4.2020 / GK