Digitale Entmündigung. Über die sozialen Implikationen von „User Experience Design“
Moderne digitale Dienste arbeiten mit verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen über das „optimale“ Design von interaktiven Benutzeroberflächen. „User Experience Design“ hat sich als der zentrale Diskurs etabliert, dem es darum geht, technische Produkte den Fähigkeiten, Intuitionen und Verhaltensgewohnheiten der User anzupassen. Digitale Dienste sollen sich anthropomorph und spielerisch in die soziale und affektive Nahwelt der User einfügen, indem sie ihre Technizität verbergen, ohne Nachdenken bedienbar sind und sogar Stimmungen und Bedürfnisse der User antizipieren. Alltägliche Beispiele sind die versiegelten Oberflächen moderner Smartphones ohne Batteriefach oder Schrauben, oder die individualisierten Newsfeeds, die jedem User das für ihn/sie „Relevante“ vorsortieren.
Doch machen Usability und user-centered Design wirklich bloß voraussetzungsvolle technische Strukturen für jedermann zugänglich? Oder hat das Design auch eine Rückwirkung auf die Nutzer*innen und unsere Technikkultur im Ganzen?
Mein Vortrag wird sich aus sozialphilosophischer Perspektive an eine Untersuchung moderner Mensch-Maschine-Interaktion machen. Anhand verschiedener Beispielstudien werden Momente der gezielten Entmündigung von Nutzer*innen in der Interaktion mit technischen Services diskutiert. Dabei handelt es sich stets um Fälle, in denen das Design der Nutzer-Interaktion darauf ausgerichtet ist, durch freiwillig-unfreiwillige Mitarbeit der User möglichst viele (Nutzer-)Daten sammeln zu können. Im Zusammenhang mit der These von einer digitalen Entmündigung wird diskutiert: Was ist es für ein Menschenbild, das dem Design moderner Interfaces zugrunde liegt? Wird ein Zustand der Hilflosigkeit oder „Unmündigkeit“ der Nutzer in Bezug auf technische Zusammenhänge dadurch ausgebeutet und sogar stabilisiert?
Dr. Rainer Mühlhoff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich 1171 „Affective Societies“ an der Freien Universität Berlin.
Kommentar: Prof. Dr. Christof Windgätter, Professur für Medientheorie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Europa, Berlin