Gerecht verteilen
Preise können extrem hilfreich sein, wenn es darum geht, Angebot und Nachfrage in eine gute Balance zu bringen. Was aber tun, wenn bei bestimmten Gütern die Verfügbarkeit nicht von Geld oder Vermögen abhängen soll? Christian Basteck erläutert, wie die Vergabe etwa im Bildungsbereich auch ohne Preise gerecht und effizient gestaltet werden kann.
Wer bekommt was? So lässt sich eine der zentralen Fragen der Wirtschaftswissenschaften in aller Kürze zusammenfassen. Die Antwort sollte idealerweise vom Bestreben nach Effizienz und nach Gerechtigkeit gleichermaßen geleitet sein.
In der Praxis erfolgt die Zuteilung der meisten Güter über Märkte, genauer über Preise. Hierfür lassen sich gute Gründe finden – zumindest mit Blick auf die Effizienz. Viele Ökonom*innen werden sich entsinnen, ein solches Zuteilungsverfahren schon einmal mit den Worten verteidigt zu haben, es führe dazu, dass diejenigen in den Genuss eines knappen Gutes kämen, denen es am meisten wert ist. Bisweilen führt dies zu ungläubigem Kopfschütteln unter den Zuhörenden. Stiftet ein Gut der Käuferin einen größeren Nutzen als denen, die das Gut zum gleichen Preis nicht erworben haben? Es könnte doch einfach sein, dass deren Einkommen geringer war? Diese Deutung ist aber ein Missverständnis. Es geht nicht um den Vergleich zwischen verschiedenen potenziellen Käufer*innen, sondern um das Abwägen verschiedener Güter durch eine Person. Das erworbene Gut ist der Käuferin mehr wert ist als andere Güter, die sie alternativ für den gleichen Geldbetrag hätte erwerben können.
Kaufentscheidungen bei gegebenen Preisen offenbaren also die relative Wertschätzung verschiedener Güter einzelner Konsument*innen, das heißt die individuellen Präferenzen. Möchte man nun, zum Beispiel aus Gerechtigkeitserwägungen, die Zuteilung nicht von Einkommen oder Vermögen abhängig machen und deshalb nicht auf einen Preismechanismus zurückgreifen, muss man jene Präferenzen auf anderem Wege ermitteln. Andernfalls lässt sich eine ineffiziente Zuteilung kaum vermeiden.
So werden beispielsweise staatlich finanzierte Kitaplätze üblicherweise nicht über den Markt zugeteilt, um Bildungschancen von Kindern nicht noch stärker vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen. In vielen Kommunen erfolgt die Vergabe dieser Plätze dann unkoordiniert, das heißt über Bewerbungen bei einzelnen Kindertagesstätten. Da die Aufnahmechancen gering sind, bewerben sich Eltern häufig bei mehreren Kitas, also nicht nur bei derjenigen, die ihnen (verglichen mit anderen Kitas) am liebsten ist. So kann es leicht vorkommen, dass sich eine Familie, die Kita A gegenüber Kita B bevorzugt (zum Beispiel aufgrund von Nähe zu Wohn- oder Arbeitsort), bei beiden bewirbt und eine andere Familie, die B gegenüber A bevorzugt, das Gleiche tut. Wird nun das Kind der ersten Familie von Kita B aufgenommen und das Kind der zweiten Familie bei Kita A, so ist diese Verteilung der Kitaplätze ineffizient – denn offensichtlich wäre es für beide Familien besser, den Platz an der jeweils anderen Kita in Anspruch nehmen zu können.
Abhilfe kann hier ein zentralisiertes Vergabeverfahren schaffen, bei dem die Eltern mehrere Kitas angeben können, um deren Plätze sie sich bewerben, gleichzeitig aber auch ihre Präferenzen in Form einer Wunschliste mitteilen können. Inzwischen gibt es auch in Deutschland eine ganze Reihe von Kommunen, die in Eigenregie, oder unterstützt von Anbietern spezialisierter Verwaltungssoftware wie Little Bird oder kitaplus, derartige zentralisierte Vergabeverfahren durchführen. Auch das am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim von Thilo Klein und Gian Caspari entwickelte und betreute Programm KitaMatch unterstützt inzwischen eine Reihe von Kommunen wie zum Beispiel Kaiserslautern oder Tübingen bei der Vergabe von Kitaplätzen.
Eine Besonderheit des Verfahrens, das KitaMatch anbietet, ist die Berücksichtigung strategischer Aspekte. So ist es für die Ermittlung der Präferenzen nicht unbedingt ausreichend, den Eltern die Möglichkeit zu geben, diese mitzuteilen, sondern es sollte auch im Interesse der Eltern sein, dies wahrheitsgemäß zu tun. Bei KitaMatch kommt hierfür ein sogenannter strategiesicherer Mechanismus zum Einsatz, also ein Mechanismus, von dem man zeigen kann, dass es niemals zum individuellen Nachteil ist, die Präferenzen wahrheitsgemäß anzugeben. In der ersten Runde des automatisierten Verfahrens bewerben sich alle Eltern bei der als Erstwunsch genannten Kita. Wenn aus Kapazitätsgründen einige abgelehnt werden müssen, bewerben diese sich in der zweiten Runde bei der an nächster Stelle genannten Kita – gemeinsam mit den dort in der ersten Runde vorläufig angenommenen. Da Eltern, die sich erst in einer späteren Runde des Verfahrens an einer Kita bewerben, die gleichen Chancen haben wie jene, die dort bereits zuvor vorläufig angenommen wurden, gibt es keinen Anreiz, eine falsche Wunschliste abzugeben, etwa in dem Bestreben, sich schon in der ersten Runde einen Platz sichern zu können. Eine gesicherte Zuteilung für jede Einzelne gibt es erst, sobald das Verfahren abgeschlossen ist und somit die Zuteilung für alle fest steht.
Bei vielen anderen häufig verwendeten Algorithmen ergeben sich dagegen Anreize, aus strategischen Motiven falsche Präferenzen anzugeben. So werden beispielsweise weltweit Plätze an vielen weiterführenden Schulen nach einem Verfahren vergeben, das als „first-preferences-first“, “immediate acceptance“ oder auch „Boston mechanism“ bekannt ist – benannt nach der Stadt, in der das Verfahren erstmals in das Blickfeld von Sozialwissenschaftler*innen geriet (es hätte genauso gut als „Barcelona“-‚ „Beijing“- oder „Berlin mechanism“ in die Literatur eingehen können, denn überall dort kam oder kommt er auch zur Anwendung). Bei diesem naheliegenden Verfahren werden zuerst die Erstwünsche der Bewerber*innen betrachtet und soweit wie möglich erfüllt. Gibt es an einer Schule mehr Bewerber*innen als Plätze, werden für die abgelehnten Bewerber*innen in einer zweiten Runde die Zweitwünsche herangezogen und wieder soweit als möglich erfüllt und so weiter. Da die Zahl der an einer Schule noch verfügbaren Plätze dabei von Runde zu Runde abnimmt, kann es passieren, dass man in der zweiten Runde an einer Schule abgelehnt wird, die einen aufgenommen hätte, wenn man sich dort in der erste Runde beworben hätte. Es kann also im Interesse der Bewerber*innen sein, die eigentliche Erstwunschschule nicht an erster Stelle der Wunschliste zu setzen (etwa weil man befürchtet, dass sie stark übernachgefragt sein wird und man sich geringe Chancen ausmalt) und stattdessen eine (erwartungsgemäß) weniger stark nachgefragte Schule als vorgeblichen Erstwunsch zu benennen.
Wenn aber aus individuellen strategischen Erwägungen falsche Präferenzen mitgeteilt werden, dann wird es häufig vorkommen, dass das Ergebnis des Vergabeverfahrens ineffizient ist, also an den wahren Präferenzen vorbeigeht. Darüber hinaus ist ein Verfahren, bei dem man individuell einen Vorteil aus strategischem Verhalten ziehen kann, unter Umständen als ungerecht einzuschätzen – zumindest dann, wenn eine optimale Bewerbungsstrategie ein überdurchschnittlich gutes Verständnis der Details des Vergabemechanismus oder weitere Informationen, etwa zur erwartbaren Nachfrage an den einzelnen Schulen, erfordert.
Vor allem aus diesen Gründen sind strategiesichere Verfahren wünschenswert – also solche, bei denen es stets zum eigenen Vorteil ist, Präferenzen wahrheitsgemäß anzugeben. Allerdings lässt sich selbst bei solchen Vergabeverfahren häufig beobachten, dass Bewerber*innen falsche Wunschlisten angeben – etwa in ökonomischen Experimenten. bei denen die Präferenzen der Teilnehmer*innen direkt einsehbar sind, aber auch in Datensätzen aus dem echten Leben, beispielsweise von Bewerbungen um Studienplätze. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Bewerber*innen Absagen vermeiden wollen: Offensichtlich ziehen sie einen zusätzlichen Nutzen aus dem Erfolgserlebnis, bei ihrem angeblichen Erstwunsch angenommen zu werden – ganz unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um den Erstwunsch handelt.
Natürlich kann es sich in solchen Fällen auch schlicht um Fehler der Bewerber*innen handeln, die aus einem mangelnden Verständnis des Vergabemechanismus herrühren. Aus diesem Grund gibt es inzwischen eine umfangreiche und wachsende Literatur, die versucht, formale Kriterien für die Einfachheit und Transparenz von Mechanismen zu formulieren und empirisch zu untersuchen. Ein Ansatz besteht darin, den Bewerber*innen ein besseres Verständnis für die aus individueller Sicht tatsächlich erreichbaren Schulen zu vermitteln, etwa indem der Vergabemechanismus dynamisch durchgeführt wird. Dabei haben die Bewerber*innen wiederholt die Möglichkeit, ihre Wunschliste anzupassen. Alternativ bemüht man sich darum, für etablierte strategiesichere Verfahren – wie etwa den zuvor erwähnten Gale-Shapley-Algorithmus – eine Darstellung zu finden, die eingängig erklärt, weshalb es keine Manipulationsanreize gibt (denn die existierenden mathematischen Beweise sind für die meisten Nutzer*innen schwer nachzuvollziehen). Interessanterweise ist dabei eine Analogie zu Preismechanismen hilfreich: Als Verbraucher*innen sind wir es gewohnt, dass unsere individuellen Kaufentscheidungen weder unser Einkommen noch die herrschenden Preise verändern, da unsere Nachfrage in der Gesamtsicht des Marktes nur ein verschwindend kleines Gewicht hat. Strategiesichere Vergabeverfahren können auf ähnliche Weise dargestellt werden: Die Menge der für eine einzelne Bewerberin erreichbaren Schulen ergibt sich aus den Wunschlisten, die die übrigen Bewerber*innen einreichen, ist also – ähnlich wie Preise und Einkommen im Markt – nicht selbst beeinflussbar. Die eigene Wunschliste dient dann nur noch der optimalen Auswahl aus dieser Menge – falsch angegebene Präferenzen können also im Zweifel nur zu einer schlechteren Auswahl aus der gleichen Menge an Alternativen führen.
Begrenzt verfügbare Güter optimal an Interessierte zu verteilen, ist alles andere als einfach. Und der Verzicht auf Preise zur Steuerung der Vergabe macht die Sache nicht leichter. Einige Ansätze wurden hier vorgestellt. Darüber hinaus gibt es noch die begründete Hoffnung, dass der im Laufe der Zeit zunehmende – und durch die Digitalisierung beförderte – Einsatz derartiger Vergabeverfahren zu wachsender Vertrautheit bei den Nutzer*innen führt. So könnten Fehler reduziert werden, und nach und nach könnte es für uns genauso natürlich scheinen, unsere Präferenzen anzugeben, wie wir heute schon unter Berücksichtigung der jeweiligen Preise unter verschiedenen Joghurts im Supermarkt wählen.
Literatur
Artemov, Georgy, Yeon-Koo Che, and Yinghua He. "Strategic ‘Mistakes’: Implications for Market Design Research." working paper (2020)
Bó, Inácio, and Rustamdjan Hakimov. "Iterative versus standard deferred acceptance: Experimental evidence." The Economic Journal (2020)
Gonczarowski, Yannai A., Ori Heffetz, and Clayton Thomas. "Strategyproofness-exposing mechanism descriptions. " National Bureau of Economic Research (2023)
Meisner, Vincent, und Jonas von Wangenheim. "Loss aversion in strategy-proof school-choice mechanisms." Journal of Economic Theory (2023)
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25.9.2023