Douro Fluss Portugal
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Mehr Geld für Metropolen

Die Finanzkrise hat die EU-Strukturförderung in den Regionen verändert

Die europäische Kohäsionspolitik soll die Ungleichheit zwischen den europäischen Regionen ausgleichen und die Staaten außerdem dazu anhalten, finanzielle Mittel in ihre schwachen Regionen zu investieren. Doch was passiert in Zeiten der Krise, wenn das Geld knapp wird und Sparen dominiert? Der Beitrag zeigt am Beispiel von Portugals Norden und Sachsen-Anhalt, ob sich die Politik der Stärkung der Regionen unter dem Spardiktat der Finanzkrise seit 2008 durchhalten ließ.

Die europäische Kohäsionspolitik gilt als gelebte Solidarität innerhalb der Europäischen Union. Mit 392 Milliarden Euro gehört der Posten auch in der aktuellen Haushaltsperiode zu einem der größten Ausgabenbereiche der Europäischen Gemeinschaft. Seit Einführung der Kohäsionspolitik im Jahr 1988 werden über fünf verschiedene Fonds finanzielle Mittel mit dem Ziel verteilt, „die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern“ (AEUV, 2007, Art. 174). Es geht dabei um die Umverteilung finanzieller Ressourcen zwischen wirtschaftlich stärker entwickelten Mitgliedsstaaten und den weniger entwickelten Regionen der Europäischen Union. Die Kohäsionspolitik steht zudem sinnbildlich für ein Europa der Regionen, da regionale Behörden aktiv in die Umsetzung der Fördermaßnahmen eingebunden sind.

Seit 2007 hat sich die Kohäsionspolitik stark gewandelt. Bereits im Zuge der Lissabon-Strategie wurden die Fördergelder mehr und mehr am Ziel der Verbesserung regionaler Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet. Hierdurch verlor die klassische Förderung von sozialen Infrastrukturprojekten an Bedeutung. Neben der Etablierung neuer Klimaschutzkriterien und einer expliziten Fokussierung auf urbane Räume, knüpfte die Kommission 2013 ihre Förderungspolitik im Rahmen der EU-Haushaltsverhandlungen an das Europäische Semester, um bei Verstößen der Mitgliedsstaaten gegen die EU-Stabilitäts- und Wachstumskriterien EU-Mittel einbehalten zu können. Über das sogenannte Europäische Semester überprüft die Europäische Kommission die Haushaltspläne der Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus bewarb die Kommission auch neue Finanzinstrumente, die auf vergünstigte Darlehen setzen – anstelle von traditionellen Zuschussmodellen.

Die Folgen der Finanzkrise für die Kohäsionspolitik

Während die Auswirkungen der Finanz- und Schuldenkrise auf die europäischen Regionen und regionalen Entwicklungsprogramme bereits untersucht wurden, spielten ihre Folgen für die europäische Kohäsionspolitik in der Forschung bisher eine untergeordnete Rolle. Unbeachtet blieb, wie staatliche Sparprogramme in den Regionen mit der Umsetzung der Strukturmaßnahmen, die von der EU gefördert werden, in Konflikt geraten. Denn staatliche Institutionen auf nationaler oder regionaler Ebene müssen immer eine gewisse Kofinanzierung für EU geförderte Projekte bereitstellen. Damit einhergehend schreibt das sogenannte Additionalitätsprinzip der Kohäsionspolitik auch ein Minimum an nationaler beziehungsweise regionaler Strukturförderung vor, unabhängig von der konkreten Kofinanzierung. Die EU-Förderung soll nationale Ausgaben ergänzen und keineswegs ersetzen.

Um die Folgen der restriktiven Fiskalpolitik auf die Umsetzung der Kohäsionspolitik in den Regionen nachzuzeichnen, stellt der Beitrag Ergebnisse der Feldforschung in Sachsen-Anhalt und in der portugiesischen Nord-Region vor. Es geht um die thematische und räumliche Verteilung der EU-Strukturfonds innerhalb der zwei Regionen und konkrete Fördermaßnahmen im Zeitverlauf. Beide Regionen unterscheiden sich stark in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung sowie der regionalen politischen Kompetenzen. Während die Landesregierung in Sachsen-Anhalt weitreichende Kompetenzen bei der Umsetzung der Strukturfondsmittel besitzt, sind es in Portugal die nationalen Behörden, die EU-Mittel in den Regionen ausgeben und verwalten. Gemeinsam war beiden Regionen wiederum, dass sie während der Krise mit vergleichbaren fiskalpolitischen Herausforderungen konfrontiert waren, die ähnliche Strategien bei der Verwendung der europäischen Mittel zeitigten.

Portugals Sparpolitik ging zulasten der kleinen Gemeinden

In Portugal nahm die Finanzkrise bisweilen existenzielle Züge an und veränderte auch die Art und Weise, wie die Nord-Region EU-Mittel einsetzte. Portugal sah sich 2011 gezwungen, ein Rettungspaket des IWF und der EU in Höhe von 78 Milliarden Euro zu beantragen, nachdem auf internationalen Finanzmärkten mit einem Staatsbankrott des Landes spekuliert wurde. Die Sparmaßnahmen sahen eine Reduktion der nationalen Strukturausgaben und der Transfers an die Gemeinden vor. Um einen möglichen Konflikt mit dem Additionalitätsprinzip der Kohäsionspolitik zu vermeiden, setze die EU-Kommission die nationalen Mindestausgaben kurzerhand herab. Die Sparpolitik erhielt institutionellen Vorrang vor der Finanzierung regionaler Entwicklungspolitik. Die Pläne der Kommission, die europäischen Mittel für Portugal teilweise einzubehalten, wurden aber von den Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat und vom Europäischen Parlament gestoppt. Gleichzeitig erhöhte die Kürzung nationaler Ausgaben wiederum die Bedeutung der europäischen Strukturfonds „[…] ungemein! Denn unsere regionalen EU-Fonds-Mittel waren die Hauptunterstützung für unsere Infrastrukturen und für die Finanzierung kleiner Ausgaben“, wie ein Verwaltungsbeamter berichtete (Interview Nr. 8). Die Nord-Region nutzte die EU-Mittel also bereits zu diesem Zeitpunkt, um kurzfristig finanzielle Lücken zu schließen.

Die Antwort Portugals und der Nordregion auf die Krise bestand unter anderem darin, die EU-Gelder zunehmend für die Stärkung der exportorientierten Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu investieren. Die Ausgaben für die soziale Infrastruktur und für die öffentliche Daseinsvorsorge in den schwachen Regionen wurde gesenkt, während die Mittel für kleine und mittlere Unternehmen und Forschung und Entwicklung anstiegen. Investitionen verschoben sich zugunsten der urbanen Zentren: die Mittel für den Großraum Porto im Finanzierungszeitraum 2014 bis 2020 um 10 Prozentpunkte gegenüber der vorherigen Periode (2000-2007), während die Mittel für ländliche und weit weniger entwickelte Regionen, wie die Douro-Region, von 8 auf 3,8 Prozent sanken.

Darüber hinaus gab Portugal als Ziel aus, private Beteiligungen an EU-Förderungen zu erhöhen, weil diese Maßnahme den Nutzen der Strukturfondsmittel für die portugiesische Wirtschaft steigern würde. Damit folgte das Land einem Vorschlag der Troika von 2014. Die Hinwendung zu neuen Finanzinstrumenten prägte von nun an auch die Strukturpolitik der Nordregion. Neben neuen Programmen wie z. B. Portugal Inovação Social, das teilweise auf sogenannten Social-Impact Bonds basierte, wurde auch ein darlehenbasiertes Finanzierungsprogramm im Bereich des Wohnungsbaus aufgelegt.

Während große Teile des ohnehin geringen staatlichen Wohnungsbau-Budgets für die Schuldentilgung aufgebracht werden mussten, entstand mit dem Istrumento Financeiro para a Reabilitação e Revitalização Urbanas (IFRRU) ein neues Förderprogramm zur Wohnraumsanierung. Die 102 Millionen Euro aus den portugiesischen Strukturfonds-Mitteln wurden zur Risiko-Minimierung eingesetzt, um die privaten Investitionen abzusichern. Weil diese Programmstruktur in besonderem Maße auf die private Nachfrage angewiesen ist, sind die Möglichkeiten, Investitionen staatlich zu lenken, begrenzt. Das ließ sich dann in der räumlichen Verteilung der Investitionen sowie der Empfängerstruktur ablesen. Trotz erheblicher Bemühungen, das Programm flächendeckend zu bewerben und das gesamte portugiesische Staatsgebiet abzudecken, zeigen die Empfängerdaten, dass lediglich 28 Prozent der Gemeinden Portugals IFRRU-Mittel erhielten (Stand Dezember, 2022). Die überwiegenden Investitionen wurden in den Metropolregionen Lissabon und Porto getätigt. In der Nord-Region entfielen mehr als 84 Prozent der IFRRU Gelder auf den Großraum Porto, obgleich dieser nur 48 Prozent der Bevölkerung der Nord-Region beherbergt.

Außerdem scheint die Nachfrage nach gesicherten IFRRU-Darlehen teilweise durch den Tourismusboom in Lissabon und Porto vorangetrieben zu sein. So kam ein Großteil der Darlehen der Hotelbranche oder Firmen aus dem Bereich der Kurzzeitvermietung zugute. Die veränderte Praxis dürfte die aktuelle Wohnungsknappheit, die rasant steigenden Mieten und die Verdrängungsprozesse, mit denen Porto und Lissabon seit etwa 2014 zu kämpfen haben, eher beschleunigt haben, als ihnen entgegenzuwirken.

Kleinere Veränderungen in Sachsen-Anhalt

Auch in Sachsen-Anhalt führte die Krise zu einer Verschärfung der defizitären Haushaltslage und zu einigen Änderungen bei der EU-Mittelvergabe. Allerdings war die Situation weniger gravierend als in Portugal. Gleichwohl beherzigte auch Sachsen-Anhalt die Kommissionsvorgaben und setzte die Mittel stärker als vorher zur Förderung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit ein. Ähnlich wie in der Nord-Region ging damit ebenfalls eine geografische Verschiebung der EU-Mittel einher. Mit einem Anstieg von 7,4 Prozentpunkten gegenüber der vorangegangenen Förderperiode flossen mehr als die Hälfte der EU-Mittel aus dem Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in die urbanen Zentren Halle, Magdeburg und Dessau-Roßlau. Die große Mehrheit der Bevölkerung, die in Sachsen-Anhalt in ländlichen Gebieten und Kleinstädten lebt (85,7 %), erhielt somit weniger als die Hälfte der EFRE-Mittel (44,8%). Dies zeigt ein Vergleich der Empfängerdaten zwischen den Förderperioden 2007 bis 2013 und 2014 bis 2020.

Als Antwort auf die Krise wurden in Sachsen-Anhalt abgesehen von Sparmaßnahmen in der Landesverwaltung vor allem im Bildungssystem und im Kulturbereich Mittel gekürzt. In der Folge kam es zu den größten Demonstrationen in Sachsen-Anhalt seit der deutschen Einheit, getragen von Studierenden, Kulturschaffenden und Gewerkschaften.

In der Förderperiode 2014 bis 2020 zielte Sachsen-Anhalt im regionalen „Operationellen Programm“ darauf ab, Forschungseinrichtungen stärker als zuvor mit EU-Mitteln zu fördern. Diese Priorisierung der EU-Investitionen stand jedoch in starkem Gegensatz zur eigentlich verabschiedeten Landeshochschulpolitik. Während Sachsen-Anhalt plante, die EU-Investitionen für Hochschulen um ca. 22,3 Mio. Euro im Vergleich zur vorherigen Förderperiode (2007-2013) zu erhöhen, sollten die Landesmittel zwischen 2013 und 2024 um 75 Millionen Euro gekürzt werden. Auch inhaltlich gab es starke Überschneidungen zwischen den konkreten Kürzungs- bzw. Förderposten. Ähnliche, allerdings erfolglose Versuche, Landesmittel durch EU-Mittel zu ersetzen, gab es auch in der Kulturförderung. Analog zur Nord-Region in Portugal sollten die härtesten Kriseneffekte offenbar auch in Sachsen-Anhalt mithilfe der europäischen Strukturfonds abgefedert werden.

Die verstärkte Ausrichtung der Europäischen Kohäsionspolitik am Ziel der regionalen Wettbewerbsfähigkeit führte im Zusammenhang mit der Euro-Krise zu Veränderungen in den benachteiligten Regionen. Räumlich betrachtet führt eine stärkere Betonung der Wettbewerbsförderung zu einer Verschiebung der Gelder in die produktiveren urbanen Zentren der Regionen. Dies gilt sowohl für die Nord-Region in Portugal als auch für Sachsen-Anhalt. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob intra-regionale Ungleichheiten durch die neue Förderpraxis verstärkt werden. Befürworter der neuen Strategie argumentieren, dass die neue Ausrichtung der Förderung starker Zentren auch den wirtschaftlich schwächeren Teilen der Regionen zugutekommt. Die meisten, bislang vorliegenden Forschungsergebnisse stützen die These nicht.

Diese Ergebnisse zeigen: Grundsätzlich spiegelt die Umsetzung der Kohäsionspolitik in der Staatsschuldenkrise die widersprüchlichen Europäischen Anforderungen wider, denen sich Regionen sowie deren Mitgliedsstaaten ausgesetzt sahen. Wie das Beispiel der portugiesischen Nord-Region zeigt, führte der durch die EU-Institutionen vermittelte Druck, zu sparen und die öffentlichen Haushalte zu sanieren, zur notgedrungenen Verletzung des Additionalitätsprinzips, indem ein Minimum an nationaler beziehungsweise regionaler Strukturförderung vorgeschrieben war. Das konnte erst gelöst worden, als die zuvor festgesetzten nationalen Fördersätze von der Kommission abgesenkt wurden. Vielerorts wurde das Additionalitätsprinzip grundsätzlich infrage gestellt. Deutlich wird: Im Zweifelsfall genießt die Politik der Haushaltskonsolidierung Priorität – mit nachteiligen Folgen für die benachteiligten Regionen.

Für die aktuelle Förderperiode (2021-2027) wurde das Additionalitätsprinzip offiziell verworfen. Angesichts der fortschreitenden Klimakrise ist die Notwendigkeit weiträumiger europäischer Investitionsprogramme gleichzeitig wichtiger denn je und fordert sowohl europäische als auch nationale Anstrengungen. Die sozial-ökologische Transformation darf die ohnehin existierenden ökonomischen Ungleichheiten nicht weiter verschärfen, wenn eine grundlegende Konversion hin zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft erreicht werden soll. Die stärkere Berücksichtigung von ökologischen Zielen bei der Vergabe von Kohäsionsmitteln ist sicher zu begrüßen. Aber die bereits offenkundigen Zielkonflikte der Kohäsionspolitik und die mittlerweile häufig substitutive Verwendung der europäischen Mittel werfen immer wieder neu die Frage auf, ob und wie regionale Ungleichheiten vor dem Hintergrund restriktiver Fiskalpolitik verringert werden können.

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Literatur

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15.03.2023

Das Foto zeigt Weinberge und Landschaft am Fluß Douro im Norden Portugals.

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