Die Zukunft der Demokratie? – die 1. Interdisziplinäre WZB-Jahreskonferenz in der Rückschau
Mehr als 100 internationale Forschende tauschten sich bei der „1st Annual Interdisciplinary WZB Conference“ über eines der drängenden Themen unserer Zeit aus: „Die Zukunft der Demokratie?“. Es ging um demokratischen Rückschritt, autoritären Populismus, gesellschaftliche Polarisierung, Desinformation – und die entscheidende Rolle von Institutionen, Zivilgesellschaft und internationaler Zusammenarbeit bei der Stabilisierung der Demokratie. Initiiert wurde der Austausch von WZB-Präsidentin Nicola Fuchs-Schündeln, ihre Mitorganisatoren waren Daniel Ziblatt und Michael Zürn.
Interdisziplinäre Konferenzen seien in den Sozialwissenschaften nach wie vor selten, betonte Nicola Fuchs-Schündeln in ihrer Eröffnung. Um jedoch die Herausforderungen, denen moderne Gesellschaften gegenüberstehen, wirksam anzugehen, sei es entscheidend, „Erkenntnisse aus mehreren Disziplinen zu kombinieren, anstatt uns auf eine einzige Perspektive zu verlassen“. In mehreren Keynotes, auf Panels und in Sessions stellten am 9. und 10. Oktober Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Fachbereichen wie Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Rechtswissenschaft ihre aktuelle Forschung vor.
Die Infrastruktur öffentlicher Dienstleistungen seien das zentrale Feld der Begegnung zwischen Bürgern und Staat, erklärte die Forscherin Catherine de Vries zum Auftakt der Konferenz. Wenn hier Dinge nicht funktionieren – wenn etwa Arztpraxen schließen oder Schulen verwahrlosen –, hat das direkte Auswirkungen auf Wahlentscheidungen. Die Politikwissenschaftlerin von der Bocconi-Universität in Mailand, Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des WZB, hielt die erste Keynote bei der interdisziplinären Jahreskonferenz. Den Zusammenhang zwischen dem Niedergang öffentlicher Dienstleistungen und dem Anstieg von Rechtspopulismus belegte de Vries an Beispielen aus Italien und Großbritannien. Sie riet nachdrücklich zu strategischen Investitionen und zum Abbau von Bürokratie. Denn welche Mittel der öffentlichen Hand zur Verfügung stehen, hängt nicht nur von wirtschaftlichen Entwicklungen ab; letztlich wird es auf der politischen Ebene entschieden.
Panel „State of US Democracy“ und die Arbeit des Polarization Lab
Ein „sea change“ habe stattgefunden im politischen Leben Amerikas – nichts ist mehr wie vorher. Die Dramatik dieser Einschätzung durch Jacob S. Hacker, Politikprofessor an der Yale University, prägte das gesamte Panel. Vier Amerikaner*innen versuchten zu erfassen, was in ihrer Heimat vor sich geht und wohin die politischen Veränderungen führen können. „Was beunruhigt Sie am meisten?“, fragte Moderator Daniel Benjamin, Direktor der American Adacemy in Berlin, seine Landsleute. Die Antworten ein Kaleidoskop der Alpträume: Für Chloe Thurston vom Institute for Policy Research an der Northwestern University ist es der Einsatz von Militär in amerikanischen Städten, für Paul Pierson, der in Berkeley politische Wissenschaften lehrt, der „totale Kollaps des formellen Schutzes von Institutionen“, also das Ende von Checks and Balances. Und Jacob S. Hacker beklagte das weitgehende Fehlen kollektiver Gegenwehr. Ein nachdenklich stimmender Austausch von Perspektiven auf den gegenwärtigen Zustand der amerikanischen Demokratie – mit nur zaghaften Ausblicken auf mögliche Auswege.
Optimismus wolle er in die Konferenz bringen, erklärte Christopher Andrew Bail zum Beginn seiner Keynote. Der Professor für Soziologie, Computer- und Politikwissenschaften an der Duke University berichtete aus der Arbeit des Polarization Lab: Interventionen mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz wollen Menschen zusammenbringen und ihren Austausch konstruktiver gestalten. Ein Experiment richtete sich an User*innen der Plattform „nextdoor“ – in Deutschland vergleichbar mit „nebenan.de“. Eine „kindness intervention“ schlug Postenden Wendungen vor, die höflicher und wertschätzender formuliert waren als der ursprüngliche Text. Auch wenn sich durch solche Interventionen politische Haltungen nicht ändern: Sie können den Stress im zwischenmenschlichen Umgang reduzieren.
Tim Besley von der London School of Economics and Political Science untersuchte in seiner Keynote „Political Stability and Economic Performance“ das komplexe Zusammenspiel zwischen politischer Instabilität und wirtschaftlicher Leistung. Er betonte die Notwendigkeit, politische und wirtschaftliche Analysen zu integrieren, um aktuelle globale Herausforderungen wie stagnierendes Wachstum, zunehmenden Populismus und die Klimakrise zu verstehen.
Ein Format mit Zukunft
„Es ist wichtig, dass Menschen miteinander reden.“ Eigentlich ein Gemeinplatz, aber nicht in dieser Situation. Pratap Bhanu Mehta, indisch-amerikanischer Public Intellectual zu Gast aus Princeton, stellte zum Abschluss der Jahreskonferenz fest, dass Politik gemacht wird, in Austausch und Aushandlungen. Die zentrale Rolle von Kommunikation betonte Mitveranstalter Michael Zürn beim Abschlusspanel, sein Kollege Daniel Ziblatt lobte Deutschland mit amerikanischem Außenblick für seinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die stabile Erinnerungskultur. WZB-Präsidentin Nicola Fuchs-Schündeln machte deutlich, wie wichtig es ist, dass die Wissenschaftler*innen auch Lösungen entwickeln. Der intensive interdisziplinäre Austausch soll im Oktober 2026 fortgesetzt werden, bei der nächsten Jahreskonferenz.
14.10.25, GaK, kes


