Öffentlicher Platz wird überwacht
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Corona-Tracking als Spiegel politischer Strategien

Ein Beitrag von Jeanette Hofmann

Sie sind erst wenige Wochen alt und heißen StayHomeSafe, Home Quarantine, Electronic Fence, AC19, Shield, Alipay Healthcode oder TraceTogether. Entwickelt wurden sie in China, Iran, in Singapur und Südkorea, Hong Kong, Israel, aber auch in Polen. Alle Corona-Apps zielen auf die Gesundheitsüberwachung der Bevölkerung – allerdings gehen sie sehr unterschiedlich vor. Auch in Deutschland wird die Eindämmung der Pandemie mithilfe digitalen Trackings derzeit intensiv diskutiert.

Die in Singapur entwickelte App TraceTogether registriert alle Begegnungen zwischen Menschen per Bluetooth, die für mindestens 30 Minuten weniger als zwei Meter Abstand voneinander hatten, und speichert diese auf dem Smartphone. Wird einer der Beteiligten positiv getestet, informiert TraceTogether die anderen Personen und fordert diese auf, sich ebenfalls testen zu lassen. Einen großen Schritt weiter geht die südkoreanische App: Aus den Bewegungsdaten der Bürger*innen wird eine öffentlich zugängliche Landkarte generiert, die es jedem Menschen erlauben soll, nachzuvollziehen, ob sich die eigenen Wege mit denen von Corona-Infizierten gekreuzt haben.

Der „elektrische Zaun“ der taiwanesischen Regierung kontrolliert die Einhaltung von Quarantäne-Auflagen. Wer das Haus verlässt oder sein Telefon ausschaltet, wird der Polizei gemeldet. Ähnlich funktioniert die polnische „home quarantine app“, die sich allerdings auf Gesichtserkennungssoftware stützt: Wer unter Quarantäne steht, hat regelmäßig Selfies am Quarantäneort aufzunehmen. Wer der Aufforderung zum Selfie nicht innerhalb von 20 Minuten nachkommt, muss mit dem Besuch der Polizei rechnen.

In China kommen die von Alibaba und Tencent entwickelten Gesundheitspässe zum Einsatz. Dahinter steht ein Barcodesystem, das die Bewegungsfreit auf der Basis des wahrscheinlichen Gesundheitsrisikos reguliert. Aus der aktuellen Körpertemperatur, vergangenen Aufenthaltsorten und Begegnungen mit Dritten werden Risikowerte errechnet, die auf dem Smartphone als grüne, gelbe und rote Farbcodes aufscheinen. Lesegeräte an Ein- und Ausgängen von Gebäuden sorgen dafür, dass der öffentliche Raum nur mit grünem Barcode zugänglich ist.

Neu sind die Corona-Apps nicht. Die Auswertung von Bewegungsdaten und Kontaktnetzwerken ist aus der Terrorbekämpfung und der Polizeiarbeit bekannt. Und tatsächlich verschwimmen in der app-basierten Gesundheitsüberwachung die institutionellen Grenzen zwischen Gesundheits-, Polizei- und Sicherheitsbehörden. Begründet wird der Einsatz der Corona-Apps mit der Dringlichkeit der Lage und ihrer vermuteten Wirksamkeit.

Die World Health Organization (WHO) lobt Chinas drastische Maßnahmen, und allerorts wird ein kausaler Zusammenhang zwischen drastischer digitaler Kontrolle und niedrigen Infektionszahlen unterstellt. Auch in Deutschland diskutieren wir inzwischen die Nutzung von Mobilfunkdaten für die Identifikation von Infektionsketten per Funkzellenabfrage. Gerne wird dabei der Datenschutz gegen die Notwendigkeiten der Epidemiebekämpfung ausgespielt. Müssen wir also zwischen Grundrechten und Gesundheit, zwischen Demokratie und effektiver Politik wählen?

Der amerikanische Historiker Frank Snowden betrachtet die nationale Epidemie-Bekämpfung als einen Spiegel der Gesellschaft. Tatsächlich variieren die ergriffenen Maßnahmen erheblich zwischen den politischen Regimen. Allerdings gibt es keine empirischen Belege dafür, dass ausgiebiges frühzeitiges Testen, eine gute Gesundheitsinfrastruktur und kooperatives zivilgesellschaftliches Verhalten wie Selbstisolation und räumliche Distanz nicht ebenso gut oder sogar besser wirken als staatlich verordnete Überwachung.

Die beschriebenen Corona Apps sind das Mittel der Wahl autoritärer Länder, die sich nicht auf die Kooperationsbereitschaft ihrer Bürger*innen verlassen können oder wollen. Intakten Demokratien stehen andere Ressourcen zu Gebote; sie können sich auf einen kritischen öffentlichen Diskurs zur Meinungsbildung, aber auch auf Einsicht, Solidarität und Kooperationsbereitschaft eines beträchtlichen Teils ihrer Bürger*innen stützen. Überwachung per App ergänzt diese Ressourcen nicht, sondern höhlt sie aus. 

Es könnte auch anders gehen – freiwillig und ohne Verordnung von oben. Ein aktuelles Thema der öffentlichen Meinungsbildung in Deutschland ist, wie sich Apps in grundrechtsschonender Weise für die Durchbrechung von Infektionsketten nutzen lassen. Umfragen deuten darauf hin, dass viele Menschen bereit wären, eine Corona-App zu installieren, sofern diese Maßnahme freiwillig ist und vor allem den Datenschutz respektiert. Die Ideen des bundesweiten Hackathon #WirVsVirus vom 20. bis 22. März liefern einen Beleg für die prinzipielle Vielfalt möglicher digitaler Lösungen. Eine europäische Initiative hat am 1. April eine Plattform für ein „Pan European Privacy Preserving Proximity Tracing“ vorgestellt, das eine freiwillig zu installierende App mit einem anonymen Benachrichtigungssystem zwischen Infizierten und ihren möglichen Kontakten verknüpft. Das Fazit lautet daher: Auch in der Ausnahmesituation ist Überwachung ein politisches Programm und kein unabwendbarer Sachzwang oder bloße technische Eigengesetzlichkeit.

 

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2. April 2020