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Büroarbeit der Zukunft – neue Freiheiten, neue Zwänge?

Spätestens seit den Lockdowns im Rahmen der Corona-Pandemie wird die Frage nach der Zukunft der Büroarbeit gesellschaftlich und betrieblich breit diskutiert. Die Zeit der Corona-Pandemie hat gezeigt, dass trotz leerer Büros in vielen Unternehmen erfolgreich gearbeitet wurde. Unternehmen und Beschäftigte haben gelernt, dass mehr Flexibilität möglich ist. Und viele Beschäftigte wollen auch weiterhin zwei bis drei Tage im Homeoffice arbeiten. Sie hoffen auf neue Freiheiten z. B. bei der Tagesgestaltung und der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Anforderungen, aber auch bei der inhaltlichen Gestaltung ihrer Arbeit.

Auch Vorträge und Präsentationen von Unternehmensleitenden zum Thema Büroarbeit der Zukunft zeigen glückliche Mitarbeitende in flexiblen, zeitgemäßen und digitalen Arbeitswelten erfolgreicher Unternehmen. Sie versprechen ergonomische Arbeitsplätze, individuelle Gestaltungsspielräume, ganzheitliche Arbeitsaufgaben, selbstorganisierte Zusammenarbeit, wertschätzende Kooperation sowie belastungs- und stressarmes Arbeiten. „New Work“ ist zum neuen Leitbegriff geworden, mit dem Unternehmen ihre (neuen) Formen der Arbeitsorganisation bzw. die Zukunft der Arbeit beschreiben.

Noch ist offen, wie die Zukunft in den Bürobereichen genau gestaltet wird. Doch die betriebliche Erfahrung macht deutlich: Mehr Freiheit und Selbstbestimmung in den neuen Arbeitsmodellen realisieren sich nicht automatisch: Sie müssen durch die Mitbestimmungsakteure abgesichert werden. Neben den neuen Freiheiten entstehen neue Zwänge bzw. Belastungen.

Unsere Erfahrungen aus anwendungsorientierten Forschungsprojekten und der Beratung von Betriebsratsgremien zeigen: Es gibt keine Blaupause zur Zukunft der Büroarbeit. Je nach Arbeitsform und konkreter Umsetzung sind andere Aspekte zu beachten und durch die Träger der Mitbestimmung zu regeln.

Der Artikel geht zunächst kurz darauf ein, was derzeit wirklich neu für die Büroarbeit ist. Das wird am Beispiel Microsoft Office 365 konkretisiert. Der zweite Teil beleuchtet die verschiedenen Facetten der Auswirkungen auf die Beschäftigten.

Neue Büroarbeit?

Was ist das Neue an den aktuellen Veränderungen der Büroarbeit? Neu ist die Dynamik, die das Thema in der öffentlichen Debatte und in den Unternehmen entfaltet hat. Bereits vor der Corona-Pandemie experimentierten Unternehmen mit verschiedenen arbeitsorganisatorischen Veränderungen und digitalen Werkzeugen, die aktuell als Büroarbeit der Zukunft vermarktet und diskutiert werden. Unterschiedliche Methoden und Konzepte wie agile Arbeit, hybride Arbeit, mobile Telearbeit, Homeoffice, neue Büroraumkonzepte, Desksharing, Working Cafés, Coworking Spaces oder digitale Kommunikations- und Kollaborationstools werden bereits seit längerem erprobt und eingesetzt. Viele Unternehmen versprechen sich davon, dass sie damit eine erfolgreiche Antwort auf sich verändernden Rahmenbedingungen geben. Schlagworte wie die zunehmende Globalisierung, der demographische Wandel, die zunehmende Kunden- und Prozessorientierung oder die fortschreitende Digitalisierung werden in diesem Zusammenhang genannt und führen zu einem immer schwierigeren Umfeld, in dem sich Unternehmen behaupten müssen. Diese langfristigen Entwicklungstrends werden durch Krisen wie die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg oder Lieferkettenprobleme verstärkt.

Zunehmende Digitalisierung

Neu ist auch die hervorgehobene Rolle der Digitalisierung für die Büroarbeit der Zukunft. Dabei ist der Digitalisierungsbegriff in der Büroarbeit schwierig zu greifen, da der Umgang mit digitalen Technologien und IT-Systemen seit über 30 Jahren zum normalen Büroalltag gehört. Allerding enthalten die aktuellen IT-Systeme technologische Neuerungen: Es wird in virtuellen Arbeitsumgebungen, auf Sharepoints und mittels Data-Mining oder KI gearbeitet. Die Corona-Pandemie löste einen enormen Digitalisierungsschub aus: Cloud-Software und digitale Kommunikations- und Kollaborationstools haben in allen Unternehmen Einzug gehalten, wodurch die Beschäftigten während der Lockdowns trotzdem ihre Arbeitsaufgaben erledigen konnten.

Die betriebliche Praxis ist mittlerweile durch eine Fülle verschiedenster Software gekennzeichnet. Der Trend ist, dass immer mehr IT-Tools mit immer umfassenderen Funktionen und in immer schnellerem Wechsel/Erweiterungen eingesetzt werden. Dieser Digitalisierungsschub ist wesentlich mehr als die Vervielfachung oder Modernisierung eines Arbeitsmittels, denn die neuen IT-Systeme verändern auch die Arbeitsorganisation. Die Arbeitsabläufe sollen besser koordiniert werden und Zusammenarbeit in Echtzeit möglich machen.

Ein Softwareanbieter verändert die Arbeitsorganisation seiner Kundschaft

Microsoft Office 365 (MS 365) ist in vielen Unternehmen die wesentliche Grundlage für die Büroarbeit und wird häufig als digitales Kommunikations- und Kollaborationstool verstanden. Darüber hinaus bietet es jedoch noch viele weitere Anwendungen wie z. B. Sharepoint, Onlinedienst, Office-Webanwendung, Office-Software-Abonnement und Analysetools. MS 365 ist cloudbasiert und kann somit auch über verschiedene mobile Endgeräte genutzt werden. Als Monopolist hat Microsoft mit MS 365 betriebliche Tatsachen geschaffen und wirkt in die betriebliche Arbeitsorganisation hinein. Wenige Fragen verdeutlichen, welche Auswirkungen MS 365 auf die Art der Zusammenarbeit, das Arbeitsklima und die Arbeitsorganisation haben kann:

  • Ist den Beschäftigten (und dem Management) klar, welches Tool für welchen Zweck eingesetzt wird? Oder führt die Vielzahl neuer Programme mit teils sich überschneidenden Funktionalitäten zu digitalem Stress auf allen Kanälen?
  • Können alle Beschäftigten am digitalen Austausch teilhaben? Oder werden Teile der Belegschaft de facto ausgegrenzt (z. B. durch fehlende Zeit bei eng getakteten Arbeitsaufgaben, fehlendes Anwendungswissen, Sprachbarrieren bei Kommunikation in englischer Sprache)?
  • Erzeugen betriebsöffentlich sichtbare Kalender, Aufgabenplaner, Präsenzanzeigen („Person XY ist seit 15 Minuten inaktiv“) Leistungs- und Rechtfertigungsdruck gegenüber der Belegschaft?
  • Verstärken Social Media-Tools auf mobilen Geräten (Smartphones, Tablets etc.) die Erwartung immerwährender Erreichbarkeit - auch in der Freizeit?
  • Besteht ein gemeinsames Verständnis, wie bei der innerbetrieblichen Social-Media-Nutzung die Persönlichkeitsrechte aller gewahrt werden (Netiquette)? Oder herrscht diesbezüglich Wildwuchs (z. B. Veröffentlichung von Fotos oder Aufzeichnung von Audio-/Videokonferenzen ohne Einwilligung aller Beteiligten)?

Auswirkungen auf die Beschäftigten

Viele Beschäftigte schätzen die neuen Möglichkeiten der digitalen Tools und heben die positiven Aspekte hervor. Als Vorteile werden beispielsweise die schnellen und flexiblen Kommunikations- und Abstimmungsmöglichkeiten, Erleichterungen bei kooperativer Arbeit sowie schnelles Auffinden von Informationen genannt. Demgegenüber stehen Nachteile wie, dass die Holschuld nun bei den Beschäftigten liegt, die Sichtbarkeit im Unternehmen steigt sowie der Arbeits- und Leistungsdruck ebenso wie Störungen im Arbeitsablauf zunehmen können. Moderne Büroarbeit hat letztendlich viele Facetten. Sie ist flexibel, hat Auswirkungen auf die Kompetenzanforderungen, be- und entlastet, ist effizient, erhöht die Transparenz und fordert die Mitbestimmung.

flexibel

Die Corona-Pandemie führte dazu, dass Beschäftigte in großem Maße hybrid arbeiten können. Das heißt, sie arbeiten im Betrieb und mobil (im Homeoffice). Die digitalen Kommunikations- und Kollaborationstools (z.  B. MS 365) sind die Basis für diese Flexibilität.

(un-)qualifiziert

Durch die zunehmende Digitalisierung können die Kompetenzanforderungen an die Beschäftigten steigen, weil Aufgabenzuschnitte immer komplexer und ganzheitlicher werden. Häufig entfällt als mühsam empfundener Papierkram oder Routineaufgaben. In vielen Fällen steigt die Weiterbildungsbeteiligung jedoch nicht im selben Maß, wie es die Anforderungen tun. Die Beschäftigten müssen ohne das nötige Wissen immer mehr und neue IT-Tools bedienen können.

effizient

Die neuen IT-Technologien wie beispielsweise Chatbots oder RPA (Robotic Process Automation) führen dazu, dass Software (KI – künstliche Intelligenz) Aufgaben übernimmt, Kopfarbeit quasi automatisiert wird. Für die Beschäftigten fallen dadurch i. d. R. Routinetätigkeiten weg.

transparent und sichtbar

Außerdem führt die fortschreitende Digitalisierung zu mehr Transparenz über die Arbeitsaufgaben, zu "gläsernen Mitarbeitenden". Teilweise müssen organisatorische Regelungen getroffen werden, wie mit dem IT-Tool umzugehen ist. Beispielsweis kann bei MS 365 geregelt werden, dass im Videoportal „Stream“ nur Videos mit Beschäftigten hochgeladen werden dürfen, wenn diese freiwillig eingewilligt haben. Außerdem müssen Fragen des Datenschutzes sowie der Leistungs- und Verhaltenskontrolle durch die digitalen Kommunikations- und Kollaborationstools beachtet werden.

belastend

Entsprechend entstehen neue Belastungskonstellationen. Es gibt beispielsweise in den Übergangsphasen die Anforderung, dass alte und neue Systeme parallel bedient werden müssen. In der Regel müssen sich die Menschen an die Software anpassen und nicht umgekehrt, da die angebotene Standardsoftware nur begrenzt an die betrieblichen Anforderungen angepasst werden kann. Mit dem Wegfall von Routinen, fallen auch so genannte Micropausen oder Erholungszeiten mit geringeren Anforderungen weg. Bei solchen eingeübten Tätigkeiten war die Konzentration nicht voll gefordert. Damit wirken Routinetätigkeiten teils auch entlastend. Der Einsatz digitaler Tools kann zu Zeitdruck und „Entgrenzung“ von Arbeit führen, weil über die mobilen Endgeräte jederzeit die E-Mails gelesen und beantwortet werden können oder im Chat-Programm eine betriebliche Diskussion verfolgt werden kann. Der Einsatz von IT-Tools kann noch zu weiteren, spezifischen Belastungen führen, z. B. wenn kein Internet verfügbar ist oder laufend neue Updates eingespielt werden, auf die sich die Beschäftigten einstellen müssen.

mitbestimmt

Viele Träger der Mitbestimmung sehen die zunehmende Digitalisierung kritisch. Sie wollen einerseits ein modernes und wettbewerbsfähiges Unternehmen, befürchten andererseits jedoch höhere Belastungen und den Verlust von Arbeitsplätzen. Bei digitalen Kommunikations- und Kollaborationstools stehen i. d. R. der Datenschutz, das Verhindern von Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie die Absicherung der Mitbestimmung im Mittelpunkt betrieblicher Regelungen. Leistungsbegrenzung und Verhinderung der Leistungskontrolle bei erhöhten Anforderungen an permanente Verfügbarkeit und Arbeitsbereitschaft sind ebenfalls allen Betriebsräten präsent, allerdings deutlich schwieriger in Regelungen zu fassen. Darüber hinaus gibt es gute Erfahrungen mit der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (psychische Belastungen) nach § 5 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz), über die negativen Auswirkungen und Belastungen identifiziert und beseitigt werden können.

Neue Freiheiten, neue Zwänge?

Die betrieblichen Erfahrungen zeigen eine große Spanne der Entwicklungen und Einsichten. Das Mehr an Flexibilität für Beschäftigte und Unternehmen hat durchaus seine Schattenseiten. Viele Beschäftigte erleben den Digitalisierungsschub, den die Corona-Pandemie ausgelöst hat, als Entlastung und Belastung zugleich – die Digitalisierung ist dabei mehrfach ambivalent. Es braucht daher ein neues ausgewogenes Verhältnis zwischen betrieblichen und individuellen Interessen, damit die positiven Aspekte überwiegen und Belastungen verhindert werden.

18.9.2023