Home Office
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Interview: Christiane Fritsch über mobiles Arbeiten nach der Pandemie bei der ING Deutschland

Wie Home-Office gelingt - von agilen Arbeitsweisen über den Vertrauensvorschuss gegenüber den Beschäftigten bis hin zur Einbeziehung aller in die Entscheidung über mobiles Arbeiten.

1. Die COVID-19 Pandemie hatte eine starke Ausdehnung mobiler Arbeit zu Folge - auch bei der ING Deutschland. Welchen Stellenwert nimmt die Mobile Arbeit langfristig bei Ihnen ein und können Sie uns mehr zu Ihrer weitreichenden Betriebsvereinbarung „Beyond WorkING“ erzählen?

Corona hat die Entwicklung hin zum hybriden Arbeiten sicher beschleunigt – doch es hatte uns schon länger beschäftigt, wie wir flexibler arbeiten können. Dafür hat die ING als Arbeitgeber und unser Betriebsrat vereinbart, dass mobiles Arbeiten im Rahmen betrieblicher, regulatorischer und gesetzlicher Anforderungen bei uns möglich ist. Mit dieser weitreichenden Gestaltungsfreiheit stellte die Bank als eines der ersten, großen Unternehmen in Deutschland die Weichen für die Arbeitswelt der Zukunft. Zudem sah die Vereinbarung ein einmaliges steuer- und sozialabgabenfreies Ausstattungsbudget in Höhe von 1.500 Euro netto vor, um sich für das mobile Arbeiten adäquat einrichten zu können.

2. Die ING Deutschland hat vor der Pandemie unternehmensweit eine agile Transformation vollzogen. Welche Rolle spielten und spielen agile Ansätze für die Umsetzung neuer Arbeitskonzepte bei Ihnen?

Seit Sommer 2019 arbeitet die gesamte ING Deutschland agil. Damit waren wir die erste Bank in Deutschland, die vollständig agil transformiert wurde. Das haben wir aus verschiedenen Gründen getan: Zum einen wollten wir als etablierte Bank genauso schnell wie Fintechs neue Tools und Features für unsere Kundinnen und Kunden auf den Markt bringen. Dafür war eine engere Verzahnung zwischen Business und IT nötig. Zum anderen wollen wir auch als coolest place to work Mitarbeitende von uns überzeugen, die das agile, innovative Umfeld schätzen. Mit unseren gemischten Teams, sehr flachen Hierarchien und eigenverantwortlicher Arbeitsweise haben wir wichtige Bausteine dafür etabliert. Agilität bedeutet für uns sich gegenseitig zu helfen, Eigeninitiative zu entwickeln und auf bewährte Methoden zuzugreifen. Zum Beispiel, wenn wir unsere Kundinnen und Kunden befragen, was sie gern von uns hätten.

Als die Covid-19 Pandemie aufkam, konnten wir auch mit Hilfe unserer agilen Arbeitsweise sehr schnell reagieren und von einem Tag auf den anderen beinahe alle Mitarbeitenden ins Home-Office „schicken“. Durch die eigenverantwortlichen Teams, den agilen Rhythmus und die Klarheit von Verantwortlichkeiten war es unseren Teams möglich, fast reibungslos in gewohnter Art weiterzuarbeiten – nur eben remote.

3. Sie sind Vizepräsidentin des Digitalisierungsnetzwerks Initiative D21 und nehmen sich in diesem Rahmen auch der Thematik „New Normal“ an. Können Sie uns sagen, was das „New Normal“ für Unternehmenskulturen in Deutschland bedeutet?

Generell wird das „New Normal“, also das neue Arbeiten nach der Pandemie, sehr individuell gehandhabt. Manche Unternehmen erwarten ihre Mitarbeitenden wieder täglich zurück im Büro, andere haben Büro-Pflichttage komplett abgeschafft. Eine Auswirkung der individuellen Regelungen auf die Unternehmenskultur wird die Zeit zeigen, wenn mehr und mehr neue Mitarbeitende ins Unternehmen eintreten. Traditionell war immer das Büro der Ort, an dem Unternehmenskultur hauptsächlich stattfand. Daher ist es erforderlich, dass sich Unternehmen darüber Gedanken machen, wie sie ihre Unternehmenskultur ihren Mitarbeitenden auch in einem hybriden Arbeitsumfeld nahebringen.

Für uns als ING Deutschland existiert nach wie vor der „Orange Code“, den wir leben und unterstützen. Dieser beinhaltet Werte (wir sind ehrlich, umsichtig und verantwortungsbewusst) und Verhaltensweisen: Du nimmst die Dinge in die Hand und treibst sie voran; du hilfst anderen, erfolgreich zu sein; du bist immer einen Schritt voraus.

Dieser Kodex ist unabhängig von Stand- und Arbeitsort der Mitarbeitenden gültig und ist eine tragende Säule unserer Unternehmenskultur. Dadurch, dass sich diese Werte in jeder Form der Zusammenarbeit zeigen, wirken sie auch im hybriden Umfeld.

4. Wie verändert die neue Arbeitswelt Führungskonzepte und welche neuen Ansprüche ergeben sich für Führungspersonal? Welche Herausforderungen bringt mobile Arbeit mit sich etwa hinsichtlich der abnehmenden Präsenz von Beschäftigten?

Mit abnehmender Präsenz im Büro nehmen auch die Gespräche abseits der Arbeitsmeetings ab, denn die Mitarbeitenden sitzen weniger nebeneinander oder treffen sich nicht mehr so häufig in der Teeküche. Diese Gespräche und Begegnungen sind aber ein „sozialer Kleber“, die den kollegialen Zusammenhalt stärken. Diesen „Kleber“ im Remote Arbeiten zu stärken, ist für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit sehr wichtig, daher müssen dafür neue Wege gefunden werden. In der ING haben wir hierfür spezifische Teambuilding-Maßnahmen, Führungstrainings und Best Practices, z.B. regelmäßige virtuelle Kaffeetermine, explizite Präsenz-Teamdays im Büro, oder auch Sounding Board Meetings. Diese Maßnahmen stärken den Teamspirit sowie Zusammengehörigkeitsgefühl und Wertschätzung innerhalb des Teams. Gerade für Neueinsteiger ist es wichtig, neue Kollegen und Kolleginnen nicht nur auf dem Bildschirm kennenzulernen, sondern „in echt“.

Für Führungskräfte ist das remote Führen ebenso eine Herausforderung, erfordert es doch ein großes Maß an Vertrauen ihrerseits sowie ein großes Maß an Verantwortungsbereitschaft seitens ihrer Mitarbeitenden. Eine ergebnisorientierte Bewertung ist nun wichtiger als eine anwesenheitsorientierte. Die agile Struktur ist hierbei besonders hilfreich, da jedes Teammitglied regelmäßig ein spezifisches Lieferversprechen abgibt, das genau bewertet werden kann. Jedoch ist auch in der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden der persönliche vor-Ort Austausch für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sehr wertvoll.

5. Welche Empfehlungen haben Sie für Unternehmen und Betriebe, die bezüglich mobiler Arbeit noch in Findungsprozessen sind?

Ein Einbeziehen aller Parteien, z.B. Betriebsrat, Personal, aber auch der Mitarbeitenden selbst, ist für ein ausgewogenes Konzept hilfreich.

Der wichtigste Aspekt ist jedoch aus meiner Sicht: Mut. Eine Öffnung des Arbeitsumfelds ist immer auch ein Verlassen der Komfortzone und wird oft mit Angst vor Kontrollverlust begleitet. Aber: Ein Vertrauensvorschuss wird nach meiner Erfahrung immer mit hoher Zufriedenheit und einem großartigen Arbeitsergebnis belohnt.

Und wenn es doch nicht passt, ist nichts in Stein gemeißelt und kann bei Bedarf angepasst oder nachgeschärft werden.

Das Interview führte David Wandjo.

18.10.2023