Zwischen Experimentierräumen und Ampelsystemen: Künstliche Intelligenz auf der betrieblichen Ebene verhandeln
Systeme, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren, haben inzwischen in viele Bereiche der Arbeitswelt Einzug gehalten. Solche Systeme übernehmen Aufgaben in Organisationen, die zuvor Menschen vorbehalten waren. Eingesetzt wird KI heute, um beispielsweise Produktionsprozesse weiter zu automatisieren, Prognosen für die Personalplanung zu erstellen oder um mittels Chatbots Informationen für Beschäftigte schneller zugänglich zu machen. Die Vorteile solcher Systeme aus Sicht des Managements liegen auf der Hand: Manager*innen versprechen sich mit KI Effizienzen zu schaffen, Beschäftigte von teils anstrengenden oder langweiligen Tätigkeiten zu entlasten und die Produktivität zu erhöhen. Der Einsatz von KI-basierten Systemen nimmt daher auch Einfluss auf die Qualität und Quantität von Arbeit.
In den Medien stellen Hersteller und Anbieter von KI-Systemen diese gerne als unkontrollierbar dar. Sie sind es jedoch keineswegs: Je nachdem wie Entwickler*innen und Organisationen KI gestalten und einsetzen, können die Systeme sich positiv oder negativ auf die Arbeitsplätze von Beschäftigten auswirken. Daher haben sich eine Reihe von Regierungen weltweit zum Ziel genommen, den Einsatz von KI zu regulieren. Denn KI ist eben keine unkontrollierbare oder neutrale Kraft: KI ist politisch.
Während derzeit etwa in der Europäischen Union über die KI-Verordnung verhandelt wird, finden auch auf betrieblicher Ebene bereits Verhandlungen über den Einsatz von KI statt. Denn während einige Hoffnungen und Sorgen rund um KI auf hypothetischen, fernen Einsatzszenarien basieren, kommt KI an anderen Stellen bereits sehr konkret in der betrieblichen Praxis zum Einsatz. Management und Vertretungen der Arbeitnehmer:innen verhandeln in diesen Betrieben darüber, wie die Einführung von KI-basierten Systemen mit den Rechten und Bedürfnissen der Beschäftigten in Einklang gebracht werden kann. Betriebsräten kommt eine besonders wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, die Interessen der Beschäftigten zu wahren und sicherzustellen, dass KI-Systeme die Arbeitsbedingungen für diese verbessern und nicht verschlechtern. Eine sachliche und konstruktive Verhandlung der Technologie jenseits des medial erzeugten KI-Hypes fordert jedoch nicht nur politische, sondern auch betriebliche Akteur*innen heraus. Denn es gilt die Grundlagen für eine gerechte, nachhaltige und menschenzentrierte Einführung von KI in Organisationen zu schaffen. Unsere Interviews mit Mitbestimmungsakteur*innen zeigen auf, dass KI diese zwar vor neue Herausforderungen stellt, sie jedoch auch Wege finden, mit diesen in den betrieblichen Verhandlungen umzugehen.
KI stellt die Vertretung von Beschäftigteninteressen vor neue Herausforderungen
In erfolgreichen KI-Vorhaben wahren Projektverantwortliche die Rechte von Beschäftigten und berücksichtigen ihre Interessen bereits in der Systementwicklung. Die Perspektiven und Forderungen der Vertreter*innen der Beschäftigten sind daher in KI-Vorhaben von großer Bedeutung. Arbeitnehmer*innenvertretungen stehen jedoch nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung, dabei sind KI-Systeme und ihre Auswirkungen auf Beschäftigte selbst für Expert*innen komplex.
Eine Unsicherheit in den Verhandlungen über den Einsatz von KI ergibt sich daraus, dass der Einsatz von KI für Beschäftigte zunächst nicht sichtbar ist, da es sich dabei um Software-Lösungen handelt, die teils in Standardlösungen integriert sind. Hinzu kommt, dass Hersteller und Anbieter von KI sich häufig auf Geschäftsgeheimnisse berufen und Details zu den Funktionsweisen der angebotenen Systeme nicht preisgeben. Auch das Management trägt zu dieser Intransparenz bei, wenn es Beschäftigten und ihren Vertreter:innen keine ausreichenden Informationen über KI-Vorhaben in der Organisation zur Verfügung stellt. Schließlich führen auch die technische Komplexität und Veränderlichkeit von KI-Systemen dazu, dass ihre Auswirkungen schwer zu greifen sind. Wird beispielsweise eine elektronische Personalakte eingeführt, können Management und Arbeitnehmer*innenvertretungen in weiten Teilen abschätzen, welche Tätigkeiten der Personalabteilung hierdurch in welchem Umfang entfallen werden. Wird jedoch ein KI-basiertes System für die Analyse von Personaldaten eingeführt, fällt diese Einschätzung deutlich schwerer. Das liegt unter anderem daran, dass die Auswirkungen von KI häufig nur stark zeitversetzt spürbar sind.
Gleichzeitig werden unter der Überschrift KI häufig unterschiedliche Technologien verhandelt. Denn KI bezeichnet keine konkrete Technologie, sondern ist ein Sammelbegriff, der die “Grenze des computergestützten Fortschritts” beschreibt. Das bedeutet, dass Technologien, die vor 50 Jahren unter KI verstanden wurden, heute möglicherweise nicht mehr als KI gelten, und Technologien, die wir heute als KI bezeichnen, in 50 Jahren möglicherweise nicht mehr als KI gelten. Heute steht KI in engem Zusammenhang mit Verfahren des Maschinellen Lernens und unterscheidet sich durch drei wichtige Merkmale von früheren Verständnissen von KI: Die Systeme können mit wenig menschlichem Eingreifen agieren (1), sie können sich im Anwendungsverlauf und durch Daten verbessern (2) und ihre Ergebnisse sind für viele Nutzer:innen unergründlich (3). Trotz solcher Definitionen bleibt der Begriff KI umstritten, was Verhandlungen zur Regulierung von KI zu einer Herausforderung macht. Nicht nur die begriffliche Abgrenzung fordert die Regulierung von KI heraus, sondern auch die fehlenden geografische Grenzen von KI. Denn häufig sind KI-Projekte von globaler Natur, sodass sich die Verhandlungspartner:innen der Arbeitnehmer*innenvertretungen im Ausland befinden und mit den Regeln der deutschen Mitbestimmung nicht vertraut sind. Dabei wird auch durch die Erprobung von KI-Systemen im Ausland Druck auf Arbeitnehmer*innenvertretungen in Deutschland ausgeübt, einer Einführung zuzustimmen.
Eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit des Einsatzes sowie eine sachliche Bewertung der Auswirkungen von KI wird durch den polarisierten medialen Diskurs erschwert. KI wird sowohl als “unaufhaltbarer Fortschritt” dargestellt, der den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sichern soll, als auch als Gefahr für Gesellschaft und Arbeitswelt. Teils sind es die gleichen Akteur*innen – die Technologie-Anbieter selbst –, die beide Positionen öffentlich vertreten. Bei der Regulierung und betrieblichen Verhandlung von KI gilt es diesen Hype kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig fällt es Arbeitnehmer:innenvertretungen jedoch schwer zu bewerten, inwieweit Beschäftigte durch den Einsatz von KI be- oder entlastet werden: Ein Chatbot im internen Wissensmanagement kann (beispielsweise) häufig wiederkehrende Fragen beantworten und Beschäftigte entlasten, die diese Fragen zuvor persönlich beantwortet haben – dadurch können jedoch auch zwischenmenschliche Interaktionen wegfallen und Arbeit kann sich verdichten.
KI im Interesse der Beschäftigten verhandeln
Die Komplexität und Unsicherheiten, mit denen die Einführung von KI verbunden ist, stellen Arbeitnehmer*innenvertretungen – und teils auch ihre Verhandlungspartner*innen – vor Herausforderungen. KI im Interesse der Beschäftigten zu verhandeln erfordert daher eine neue Herangehensweise an Verhandlungen zwischen Management und Arbeitnehmer*innenvertretungen, wie unsere Interviews mit Mitbestimmungsakteur*innen aufzeigen.
Arbeitnehmer*innenvertretungen nähern sich dem Thema KI an, indem sie neue Ansätze erproben. Dazu gehört zum Beispiel, die Regelungen bis zu einem gewissen Grad zu flexibilisieren, indem sie klar definierten und abgegrenzten Pilotprojekten oder “Experimentierräumen” zustimmen. Die Unbestimmtheit des KI-Begriffs führt zudem dazu, dass in den Regelungen technische Details im Hintergrund stehen. Stattdessen stehen die Auswirkungen von KI-Systemen sowie die Ziele und Zwecke der Einführung im Vordergrund von Vereinbarungen. Dies ermöglicht es, Vereinbarungen zu schließen, die bis zu einem gewissen Maß unabhängig von technologischen Veränderungen von KI-Systemen im Betrieb anwendbar sind und so die Interessen der Beschäftigten wahren können.
Gleichzeitig werden die Verhandlungen und Regelungen zu KI jedoch auch stark strukturiert. In einigen Betrieben werden neue Prozesse und Instrumente eingeführt, wie etwa “Ampelsysteme”, die KI-Systeme nach ihrer Kritikalität klassifizieren und anhand dessen das weitere Vorgehen spezifizieren. Im Ergebnis kann beispielsweise stehen, dass ein KI-System ohne gesonderte Regelung eingeführt werden darf, dass es gesondert geprüft werden muss oder dass es gar nicht eingeführt werden darf. Auch Checklisten und KI-Projektsteckbriefe helfen dabei, die Verhandlungen zu strukturieren. Diese strukturierte Herangehensweise wird teils auch nach der KI-Einführung fortgeführt, um eine fortlaufende Evaluation von KI-Systemen zu gewährleisten. Der Grund hierfür liegt in der Veränderlichkeit der Systeme und der Schwierigkeit, ihre Auswirkungen auf Arbeit und Beschäftigte vorab umfassend einzuschätzen.
Schließlich ist es für Arbeitnehmer*innenvertretungen wichtig, sich für die Verhandlung von KI zu vernetzen. Das bedeutet, dass sowohl Expert*innen innerhalb des eigenen Betriebs identifiziert und einbezogen werden, als auch externe Expert*innen. Ein gemeinsames langfristiges Zielbild für die Arbeit mit KI – etwa in Form von gemeinsamen Leitlinien oder Prinzipien – schafft die Grundlage für die interne Zusammenarbeit. Externe Sachverständige, Forscher*innen oder KI-erfahrene Arbeitnehmer*innenvertretungen aus anderen Organisationen unterstützen bei der Entwicklung dieses Zielbilds und der Bewertung von KI-Vorhaben.
Arbeitnehmer*innenvertretungen als Gestalterinnen der Zukunft der Arbeit
KI stellt Arbeitnehmer*innenvertretungen vor vielfältige Herausforderungen wie der Intransparenz, die KI-Vorhaben umgibt, der begrifflichen Unbestimmtheit von KI und den Hype-Narrativen rund um die Technologie. Die Verhandlungen über den Einsatz von KI sind geprägt von Unsicherheiten darüber, was KI ist, wo sie eingesetzt wird und welche Auswirkungen sie auf Beschäftigte haben kann. Gleichzeitig lassen sich in der Praxis jedoch bereits Ansätze beobachten, die diesen Herausforderungen begegnen: durch Regelungen mit Spielraum für Veränderungen bei einer gleichzeitig strukturierten Vorgehensweise etwa, oder indem Arbeitnehmer*innenvertretungen sich vernetzen und klare gemeinsame Zielbilder entwickeln.
Arbeitnehmer*innenvertretungen werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle dabei spielen, KI-Projekte im Interesse der Beschäftigten zu gestalten. Die zunehmende technologische Komplexität der Systeme, die Arbeitnehmer*innenvertretungen verhandeln, erfordert viele Ressourcen. Sind diese nicht vorhanden, kann Mitbestimmung durch die Überforderung von Arbeitnehmer*innenvertretungen ausgehöhlt werden. Aktuelle Diskussionen rund um generative KI und ihrer regulatorischen Herausforderungen unterstreichen die Notwendigkeit, sich weiterführend mit der betrieblichen Verhandlung von KI auseinanderzusetzen. Dabei sollten die Narrative der Technologie-Anbieter jedoch kritisch in Frage gestellt werden und der Fokus auf die realen Risiken und Potenziale von KI gerichtet werden, anstelle der hypothetischen.
27.09.2023