Globale Produktion nach Covid-19: Bewertung der geografischen Umstrukturierung von Unternehmen und Branchen in globalen Produktionsnetzen (Covid19-GPNs)

Abstract

Die Covid-19-Pandemie störte das Funktionieren globaler Systeme ausgelagerter und verlagerter Produktion, die als "globale Produktionsnetzwerke" (GPNs) bekannt sind. Die Verlangsamung der Produktion und die Schließung von Fabriken auf der ganzen Welt führten zum Verlust von Arbeitsplätzen, zur Änderung von Unternehmensstrategien und zu wirtschafts- und industriepolitischen Interventionen. Die Unterbrechungen der GPNs durch die Covid-19-Pandemie waren in vielerlei Hinsicht schwerwiegend und beispiellos. Das Projekt zielt darauf ab, zu verstehen, wie und in welchem Ausmaß die Covid-19-Krise und die nun zunehmenden geopolitischen Spannungen aufgrund des Handels- und Technologiekonflikts zwischen den USA und China, aber auch aufgrund des russischen Krieges gegen die Ukraine und der damit zusammenhängenden Energiekrise zu einer geografischen Umstrukturierung von GPNs führen werden. Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Untersuchung von Veränderungen in den Strategien der führenden Unternehmen in Bezug auf globale Produktions- und Lieferbeziehungen und auf der Frage, wie diese Veränderungen von Wirtschafts- und Industriepolitik und den Möglichkeiten der Digitalisierung beeinflusst werden.

Das Covid-19-GPN-Projekt verwendet einen multidisziplinären theoretischen Rahmen, der den GPN-Ansatz aus der Wirtschaftsgeographie mit dem Konzept der Produktionsmodelle von Unternehmen und der Rolle des technologischen Wandels aus der Industriesoziologie sowie einer politökonomischen Sichtweise auf die Wirtschafts- und Industriepolitik verbindet. Im Rahmen des Projekts werden eingehende Fallstudien zu führenden Unternehmen und ihren Zulieferern in den GPNs dreier miteinander verbundener globaler Branchen - Automobil, Elektronik und Logistik - durchgeführt. Die empirische Forschung wird in Deutschland durchgeführt, das innerhalb der Europäischen Union (EU) ein wichtiger Standort für die führenden Unternehmen in diesen Branchen ist, sowie in Polen für die globale Automobilindustrie und in Vietnam und Malaysia für die globale Elektronikindustrie. Diese Standorte werden zunehmend zu regionalen Produktionszentren. Die Forschungsergebnisse werden empirisch dazu beitragen, die Veränderungen in den Strategien der führenden Unternehmen und ihre Folgen für die Produktionsgeografien als Reaktion auf die (Post-)Covid-19-Krise zu verstehen und die multidisziplinäre Theoriebildung über die geografische Umstrukturierung der globalen Produktion, ausgelöst durch eine beispiellose globale Krise, voranzutreiben.

Das empirische Ziel des Projekts ist die Analyse der Wechselwirkungen zwischen:
1) kurz- und langfristigen Reaktionen auf die Covid-19-Krise und ihre Auswirkungen auf die führenden Unternehmen und Zulieferer in der Automobil- und Elektronikindustrie sowie in der Logistikbranche;
2) Krisen- und industriepolitischen Maßnahmen der Regierungen, die die Strategien der führenden Unternehmen und ihre Beziehungen zu den Zulieferern in den GPN beeinflussen; und
3) dem Einfluss der Digitalisierungsmöglichkeiten durch Automatisierung und die Digitalisierung der Lieferketten auf die Umstrukturierung der Produktionsgeografien.

Das theoretische Ziel ist die Durchführung einer multidisziplinären Analyse der kombinierten Wirkung von vier Variablen - Strategien der führenden Unternehmen, Beziehungen zwischen führenden Unternehmen und Zulieferern, Regierungspolitik und technologischer Wandel - für ein umfassendes Verständnis der Umstrukturierung von Produktionsgeografien durch Offshoring, Reshoring und/oder Nearshoring als Reaktion auf globale Krisen.

Das Projekt bringt Forscher des WZB, der Helmut-Schmidt-Universität und des Bard College Berlin zusammen.

 

Das WZB beschäftigt sich im Rahmen des Projekts vor allem mit den Veränderungen globaler Produktionsnetzwerke im Zuge der Covid-19-Krise:

Die Covid-19-Krise führte zu empfindlichen Störungen globaler und regionaler Lieferketten, deren Folgen die Ökonomie auch nach dem Ende der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung belasten. Mittlerweile überlagern sich dabei die Folgen der Pandemie mit anderen geopolitischen und ökonomischen Erschütterungen, die etablierte Formen des grenzüberschreitenden Wirtschaftens in Frage stellen.

In diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt wird die Frage untersucht, ob die Pandemie zu umfassenden räumlichen und strukturellen Veränderungen in globalen Produktionsnetzwerken führt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Frage, ob die Digitalisierung und eine Reorientierung nationalstaatlicher Industriepolitik einen Wandel zugunsten stärker intraregional ausgerichteter Produktionsnetzwerke begünstigen. In explorativen Fallstudien und quantitativen Befragungen soll identifiziert werden, mit welchen Mitteln Unternehmen die Resilienz ihrer Lieferketten erhöhen und welche Effekte daraus für die Geographie globaler Produktionsnetzwerke entstehen. Die interdisziplinär angelegte Studie, die Wissensbestände aus der politischen Ökonomie, der Industriesoziologie und der Wirtschaftsgeographie verknüpft fokussiert auf die Automobil- und die Elektronikindustrie sowie die Logistik. Das Projekt wird in Kooperation mit dem Bard College Berlin (Prof. Gale Raj-Reichert) und der Helmut-Schmidt-Universität und dem dortigen Team von Prof. Martin Krzywdzinski durchgeführt.

 

Das Projekt wird von einem wissenschaftlichen Beirat beraten, bestehend aus:

  • Prof. Dr. Antonio Andreoni, Professor of Development Economics at the School of Oriental and African Studies, London
  • Prof. Dr. Bolesław Domański, Professor of Economic Geography at the Institute of Geography and Spatial Management of the Jagiellonian University, Krakow 
  • Dr. Robyn Klingler-Vidra, Reader in Entrepreneurship and Sustainability at King’s Business School
  • Prof. Dr Stefan Ouma, Professor of Economic Geography, Chair of Economic Geography, University of Bayreuth
  • Prof. Dr. Sabine Pfeiffer, Professor of Technology, Labour and Society, Friedrich-Alexander University Erlangen-Nürnberg
  • Assoc. Prof. Dr. Cornelia Staritz, Tenure Track Professor of Development Economics, University of Vienna