Gesellschaftliche Selbstverständigungsdiskurse angesichts humanitärer Krisen
Gegenstand
Gegenstand dieses Projekts ist die innere Dynamik öffentlicher Debatten über humanitäre Krisen und deren Bewältigung. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass Gesellschaften in der Wahrnehmung und Definition humanitärer Not als gesellschaftlichem Problem äußerst selektiv bleiben. Zunehmend sind zudem Journalisten im Angesicht mangelnder Ressourcen auf internationale Institutionen wie UNHCR oder „Ärzte ohne Grenzen“ als glaubhafte Quellen sowie als Lieferanten von Hintergründen und Bildmaterial angewiesen. Dabei ergreifen diese die Gelegenheit, sich selbst als kompetente wie handlungsfähige Helfer ins Spiel zu bringen, drängen vielfach auch auf flankierende Maßnahmen der Nationalstaaten und prägen so ganz erheblich den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess um den Einsatz der richtigen Mittel.
Vor diesem Hintergrund werden im Projekt folgende Fragen analysiert: Inwieweit gewinnen diese Organisationen zunehmend an symbolischer Autorität, Probleme und Mittel im Rahmen gesellschaftlicher Debatten verbindlich zu definieren und bestimmen damit entscheidend die Selektivität? Inwieweit verschieben sich hier auch die Definitionsansprüche von der nationalen auf die transnationale bzw. supranationale Ebene?
Zum anderen wird untersucht, inwieweit die gestiegene Macht der Organisationen und die ihnen zugeschriebene Lösungskompetenz die Anforderungen der Gesellschaft an die Organisationen prägen. Kommt es zu einer Politisierung relevanter „Audiences“ humanitärer Hilfe? Und welche Folge hat die Exklusivität, Intransparenz und Selektivität von internationalen Organisationen bei der Bearbeitung bestimmter Krisen auf deren öffentliche Autorität? Ergibt sich also ein gesellschaftliches Kontrollbedürfnis als „nicht-intendierte“ Nebenfolge humanitärer Handlungskapazitäten jenseits staatlicher Nothilfe?
Bezug zum Abteilungsprogramm
Dieses Projekt untersucht die beiden Forschungsthesen der Abteilung aus der Perspektive von gesellschaftlichen Debatten. Zum einen prüft es, ob die Organisationen vor dem Hintergrund des in der ersten These behaupteten Trends zu Trans- bzw. Supranationalisierung stark an Autorität gewinnen und damit die Definition der Probleme und der Mittel vermehrt auf der trans- bzw. supranationalen Ebene anstatt auf der nationalen stattfindet. Zum anderen wird analysiert, inwieweit die gestiegene Bedeutung dieser Organisationen dazu führt, dass sowohl Geber als auch Empfängergesellschaften ihre Ansprüche an Legitimität und Effektivität dieser Institutionen signifikant erhöhen und stärkere Transparenz fordern. Inwieweit kommt es also gemäß der zweiten Forschungsthese zu einer Politisierung dieses trans- bzw. supranationalen Bereichs?
Ausgewählte Publikationen
Ecker-Ehrhardt, Matthias (2007). Neue Autoritäten. UNO und Nichtregierungsorganisationen: mächtige Experten in der Darfur-Debatte? In: WZB-Mitteilungen, 116, S. 22-25.
Ecker-Ehrhardt, Matthias (2007). Neue Autoritäten? Ein kommunikationstheoretischer Blick auf die Deutungsmacht inter und transnationaler Akteure in der Darfurkrise. WZB Discussion Paper, SP IV 2007-303, 42 S. Full text PDF (available in German only)
Ecker-Ehrhardt, Matthias (2008). Neue Autoritäten? Die Rolle von NGOs und Internationalen Organisationen im parlamentarischen Diskurs. In: Ulrich Sarcinelli und Jens Tenscher (Hrsg.), Politikherstellung und Politikdarstellung: Beiträge zur politischen Kommunikation. Köln: Halem, S. 63-82.
Ecker-Ehrhardt, Matthias (2009). Inter- und transnationale Organisationen als symbolische Autoritäten der Mediendemokratie. In: Frank Marcinkowski und Barbara Pfetsch (Hg.), Politik in der Mediendemokratie. Politische Vierteljahresschrift Sonderheft 42/2009, S. 585-608.
Ecker-Ehrhardt, Matthias (2010). Aid Organizations, Governments and the Media: The Critical Role of Journalists in Signaling Authority Recognition. In: Sigrid Koch-Baumgarten and Katrin Voltmer (eds.), Public Policy and the Mass Media: The Interplay of Mass Communication and Political Decision Making. London: Routledge.
Ecker-Ehrhardt, Matthias (2012). ’But the UN Said So …’: International Organizations as Discursive Authorities.” Global Society, 26:4, 2012, S. 451-471.