Starke Stimmen Obdachlosigkeit
WZB/Michael Starosta

Kein Vertrauen in die "wohnende Gesellschaft"

In der letzten Veranstaltung der Reihe "Starke Stimmen für Vielfalt" sprachen die Autor*innen Janita-Marja Juvonen und Markus Ostermair über die harte Realität der Obdachlosigkeit. Sie kamen mit WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger und Stefan Schneider von der Wohnungslosen-Stiftung ins Gespräch. 

Haben Sie sich schon einmal als „wohnend“ gefühlt – oder gar definiert? Wahrscheinlich nicht, denn einen Ort zu haben, der Schutz vor Witterung, Privatsphäre, Raum und Adresse bietet, ist für die meisten Menschen einfach selbstverständlich.

Nicht so für Janita-Marja Juvonen, die am 26. Juni in der Reihe „Starke Stimmen für Vielfalt“ am WZB zu Gast war. 14 Jahre lang hat sie auf der Straße gelebt. Seit Jahren hat sie eine Wohnung, aber es sei mitnichten „alles gut“. Ihr Vertrauen in die „wohnende Gesellschaft“ ist gebrochen, die Traumata sitzen tief. Und es gebe eine Stigmatisierung, die bis ans Lebensende wirke. Juvonen hat zudem ein Buch geschrieben: „Die Anderen: die harte Realität der Obdachlosigkeit“. Sie wolle Anregungen bieten für Menschen mit Hemmschwellen, die „Wohnenden“ zum Perspektivwechsel einladen.

Neben Janita-Marja Juvonen sitzt Markus Ostermair, auch er Autor eines Buches zur Obdachlosigkeit. Sein Roman „Der Sandler“, ein Spiegel-Bestseller, beruht auf Erfahrungen, die er beim Zivildienst in der Bahnhofsmission München gesammelt hat. In den Passagen aus seinem Buch, die er liest, begleiten wir Karl Maurer, seit Jahren ohne festen Wohnsitz, auf dem zögerlichen Weg in eine Wohnung, deren Schlüssel er überlassen bekommen hat. Über einen privaten Raum zu verfügen, das sei das Fundament für Teilhabe, erklärt Ostermair, eine Grundvoraussetzung für freie Beziehungen.

Eindrücklich schildern beide die Erfahrungen von Wohnungs- und Obdachlosen. Die Ausgrenzung, die Vorurteile – selbst nach der Zeit auf der Straße. Den Brandanschlag und die Heroinabhängigkeit, die eine Bewältigungsstrategie war. Der 24-Stunden-Stress, das Verwaltet-Werden mit zahllosen Terminen bei Ämtern, aber ohne Fahrschein. Die Menstruation, die ohne Hygieneartikel und ohne Toilette zur logistischen Überforderung wird. Die Panikattacken, vor dem Jobcenter, aber auch heute noch die Angst, ohne Blick zur Tür zu sitzen oder zu schlafen. Der Wunsch, wirksam zu sein, nicht hilfsbedürftig.

Veranstaltet wurde der Austausch vom WZB in Zusammenarbeit mit der Wohnungslosen_Stiftung, deren Gründer Stefan Schneider ebenfalls auf dem Podium saß. Die Stiftung ist eine Selbstvertretung Betroffener, und Schneiders stärkstes Anliegen war ein Plädoyer gegen Entmündigung: Vor jedem Kaffee oder Brötchen solle man fragen, was gebraucht wird – oder besser gleich Geld geben.

Der lebendige Abend versammelte Menschen unterschiedlichster sozialer Herkünfte – am Ende um einen Topf duftender Suppe. Er brachte Stimmen zu Gehör, die sonst kaum Resonanz finden. Im besten Falle regte er tatsächlich dazu an, manche Begegnung, manche Szene auf der Straße oder in der U-Bahn mit anderen Augen zu sehen.

GaK/27.6.24