Die Vermessung der Arbeitswelt
Der Einsatz von Wearables in Industrie und Logistik
Martin Krzywdzinski
Die Digitalisierung bedeutet die Durchdringung von immer weiteren gesellschaftlichen Bereichen und Praktiken durch digitale Technologien. Dabei rücken diese Technologien auch sichtbar immer näher an den menschlichen Körper heran. Ein besonders prägnantes Beispiel dieser Entwicklung sind die sogenannten Wearables, also direkt am Körper getragene digitale Geräte wie Datenbrillen, Smart Watches (Uhren) oder Smart Gloves (Handschuhe). Diese Geräte sind einerseits mit Messfunktionalitäten ausgestattet, die den Standort, aber auch (etwa per Kamera und Mikrofon in der Datenbrille) die Umgebung oder (etwa per Sensoren in der Smart Watch oder dem Smart Glove) bestimmte Körperfunktionen messen können. Andererseits haben sie Ausgabefunktionalitäten, das heißt, sie können (etwa auf der Datenbrille oder der Smart Watch) Informationen übermitteln.
Die Verbreitung der Wearables wird von einigen Wissenschaftler*innen einerseits als das Zeichen einer zunehmenden Überwachung im Alltag interpretiert, denn die Wearables erlauben eine umfassende Datensammlung über ihre Träger*innen und deren Umgebung. Andererseits kann ihre Nutzung als Ausdruck der Verinnerlichung von Selbstoptimierungszwängen gesehen werden, etwa mit Verweis auf das Quantified Self Movement. Hier geht es darum, die am Körper getragenen digitalen Geräte zu nutzen, um das eigene Verhalten (etwa im Hinblick auf Bewegung, Essen und Körperfunktionen) zu überwachen und zu optimieren.
Auch wenn solche Nutzungsweisen durchaus vorkommen können, werden in empirischen Analysen andere Muster deutlich. Die Forschung über die Nutzung von Wearables im privaten Bereich hatte gezeigt, dass viele Nutzer*innen die Technik durchaus reflektiert nutzen und sich nicht blind dem Diktat der Daten unterwerfen. Die Nutzung von Wearables in der Arbeitswelt wurde in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt von Martin Krzywdzinski, Christine Gerber (beide WZB), Maren Evers (TU Braunschweig) und Sabine Pfeiffer (FAU Nürnberg-Erlangen) untersucht. Dabei wurde in 16 Fallstudien der Einsatz von Wearables in Fertigung und Logistik untersucht.
Die Nutzungsweisen von Wearables in der Arbeitswelt unterscheiden sich von deren privatem Gebrauch:
- In der Logistik werden die Wearables vor allem in Kommissionierungsprozessen eingesetzt. Die Beschäftigten in diesen Prozessen – zumeist angelernte Arbeitskräfte – stellen anhand von Aufträgen Teile aus dem Lager zusammen und liefern diese aus, zum Bespiel an die Montagelinie oder zu den Verladestationen. Ein typischer Fall ist die Intralogistik für Montageprozesse. Die Kommissionierer*innen bekommen mehrmals am Tag Informationen aus der Montage über die benötigten Teile, stellen diese im Lager zusammen und bringen sie an die jeweiligen Montagestationen. Die Wearables werden folgendermaßen eingesetzt: Die Kommissionierer bekommen die genauen Informationen über jedes zu holende Teil und seinen Standort beispielsweise auf der Brille eingeblendet, holen dieses Teil und quittieren den Vorgang per Handscanner oder per Datenbrillenkamera. Der Einsatz von Wearables dient also einer genauen Standardisierung und Steuerung des Prozesses, die den Beschäftigten bei jedem Arbeitsschritt anleitet und die Ausführung kontrolliert.
- In der Fertigung haben wir in unseren Fallstudien vor allem den Einsatz von Wearables bei der Bedienung von Maschinen vorgefunden. Hier arbeiten überwiegend Facharbeiter, die für eine bestimmte Produktionslinie (oder einen Teil der Linie) verantwortlich sind und die Maschinen einstellen, die Materialzuführung und Arbeit der Maschinen überwachen und auch kleinere Störungen beseitigen. Es werden vorwiegend Smart Watches eingesetzt, um den Facharbeitern Informationen über den Zustand der Anlagen und anstehende Aufgaben zukommen zu lassen (etwa Material nachfüllen, den nächsten Auftrag einstellen oder auch Störungen beseitigen). Eine solche Information ermöglicht es, dass die Arbeiter sich von den Maschinen entfernen können. Damit können sie einen größeren Bereich (beispielsweise mehrere Produktionslinien) überwachen und steuern. Das Ziel des Einsatzes von Wearables ist, den Personaleinsatz flexibler zu gestalten und aus der Sicht der Unternehmen unproduktive Wartezeiten bei der Maschinenüberwachung zu reduzieren oder zu beseitigen.
Bei diesen Einsatzszenarien tauchten zwei besonders wichtige Problemstellungen auf. Erstens wirft der Einsatz von Wearables Fragen der Arbeitsgestaltung, das heißt der Definition von Arbeitsinhalten, Qualifikationsanforderungen und Leistungsnormen auf. In der Logistik bedeutet die verstärkte technische Standardisierung und Kontrolle durch Wearables einen weiteren Schritt der Reduktion von Handlungsspielräumen der Beschäftigten. Das ist problematisch, zugleich ist es bemerkenswert, dass der Einsatz der Wearables von den Beschäftigten zumeist dennoch positiv aufgenommen wird. Dabei wird betont, dass die Fehlerzahl reduziert und zudem ein flüssigerer Arbeitsprozess ermöglicht werde, da die Beschäftigten die Hände frei haben und nicht mit mobilen Geräten hantieren müssen. Angesichts des sehr hohen Zeitdrucks, der in vielen Fallstudien berichtet wird, reduzieren die Wearables zu einem Teil die Arbeitsintensität.
Von diesem Muster weicht eine Fallstudie in der Logistik ab, in der das digitale Assistenzsystem den Beschäftigten eine bestimmte Reihenfolge der Arbeitsschritte zur Abarbeitung des Auftrags vorschlug, die Beschäftigten aber selbst entscheiden konnten, wie sie vorgehen. Dies repräsentiert einen menschenzentrierten Einsatz von Wearables und digitalen Assistenzsystemen. Die Voraussetzung war aber eine entsprechende Setzung der Leistungsziele, die den Beschäftigten auch Zeit gibt, ihre Arbeitsschritte selbst zu planen.
Im Unterschied zur Logistik bedeutete der Einsatz von Wearables für die Flexibilisierung des Arbeitskrafteinsatzes in der Fertigung teilweise eine Ausweitung der Verantwortlichkeiten der Facharbeiter und damit gestiegene Qualifikationsanforderungen. Dies ist positiv, zugleich aber mit der Gefahr verbunden, dass diese Flexibilität eine Erhöhung der Arbeitsintensität bedeuten könnte, wenn den Beschäftigten mehr Verantwortlichkeiten übertragen werden. Im Mittelpunkt der Verhandlungen zwischen Betriebsräten und dem Management über die Einführung dieser Systeme standen daher Fragen der Definition von Leistungsnormen sowie weitere Fragen wie beispielsweise das Recht, die Wearables während der Pausenzeiten auszuschalten.
Zweitens stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Daten und dem Datenschutz. Im Allgemeinen haben Betriebsräte bei der Einführung von technischen Neuerungen zwar nur das Recht, über die Planungen rechtzeitig informiert und konsultiert zu werden (§90 Betriebsverfassungsgesetz). Bei der Gestaltung von Technologien wie den Wearables haben Betriebsräte aber mehr Einflussmöglichkeiten. Der §87 im BetrVG gibt dem Betriebsrat das Recht, über die Einführung von technischen Lösungen mitzuentscheiden, wenn diese „dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“. Bei der Einführung von Wearables liegt das Potenzial zur Überwachung auf der Hand, weswegen die Regulierung dieser Frage im Zentrum der meisten Verhandlungen zwischen Management und Betriebsräten steht. Weitere Möglichkeiten ergeben sich aus dem Arbeitsschutzgesetz und der Datenschutzgrundverordnung.
Es war auffällig in den durchgeführten Fallstudien, dass eine solche Überwachung im Sinne des individuellen Trackings der Mitarbeiter nicht zu den Zielen der untersuchten Unternehmen gehörte. In den meisten Fällen wurden Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die eine Speicherung personenbezogener Daten und ihre Auswertung zur Verhaltens- und Leistungskontrolle ausschlossen. Dies verweist auf die Besonderheit der Mitbestimmung in Deutschland. Die Verfolgung von Überwachungszielen ist im Grunde ohne einen offenen Konflikt mit dem Betriebsrat – und angesichts der rechtlichen Lage selbst im Falle der Bereitschaft des Managements zu einem solchen Konflikt – kaum möglich. Es ist aber zugleich zu betonen, dass es bislang keine Studien gibt, die den Einsatz von Wearables in Betrieben ohne Betriebsräte untersuchen – auch uns gelang es nicht, entsprechende Betriebe für die Studie zu gewinnen.
Insgesamt deuten die Befunde der Wearables-Studie darauf hin, dass die Szenarien einer Verinnerlichung von Selbstoptimierungszwängen und einer zunehmenden Überwachung in der Arbeitswelt bislang – zumindest in den von uns untersuchten Bereichen – nicht zutreffen. Der Einsatz von Wearables im Betrieb ist Gegenstand von Aushandlungen, in denen die Mitbestimmung eine zentrale Rolle spielt. Die vorliegende Wearables-Studie wie auch weitere Untersuchungen zeigen, dass die Betriebsräte angesichts der Komplexität und Vielzahl der Digitalisierungsprojekte an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Die Weiterentwicklung der Mitbestimmungsthemen, aber auch der Ressourcen der Mitbestimmungsakteure wird daher eine zentrale Voraussetzung für die nachhaltige Gestaltung der digitalen Arbeitswelt sein.
Es zeigt sich auch, dass der Einsatz von Wearables in der Arbeitswelt ein zentrales Thema für die Leistungspolitik im Betrieb ist. Damit ist nicht in erster Linie das individuelle Tracking der Mitarbeiter gemeint, denn unter den Bedingungen der Mitbestimmung wird eine solche Nutzung ausgeschlossen. Allerdings können die Wearables nur dann sinnvollerweise als Unterstützung für die Beschäftigten genutzt und erlebt werden, wenn ihr Einsatz nicht zugleich mit einer Verschärfung von Leistungsnormen einhergeht.
Literatur
Evers, Maren/Krzywdzinski, Martin/Pfeiffer, Sabine: „Wearable Computing im Betrieb gestalten. Rolle und Perspektiven der Lösungsentwickler im Prozess der Arbeitsgestaltung“. In: Arbeit – Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik, 2019, Jg. 28, H. 1, S. 3-27.
Krzywdzinski, Martin/Evers, Maren/Gerber, Christine/Pfeiffer, Sabine: Wearables in Fertigung und Logistik. Forschungsbericht 2021, im Erscheinen.