Dienstag, 9. Oktober 2012

Solidaritätsformen im Überlebenskampf: Ein Bericht aus Wittenberge

Vortrag von Heinz Bude

Wittenberge liegt auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg. Vor der Wende stand hier das größte Nähmaschinenwerk Europas. Vor 1989 hatte der Ort 33.000, im Jahre 2011 noch 18.000 Einwohner. Die Stadtverwaltung rechnet mittelfristig mit einer Zahl von 12.000 Bewohnern. Deshalb müssen Wohnquartiere abgerissen, Kindergärten geschlossen, Arztpraxen zusammengelegt und Buslinien abgeschafft werden. In der Nachfolge der berühmten Studie über die Arbeitslosen von dem in Österreich gelegenen Marienthal aus dem Jahre 1933 haben Sozialforscher, Theaterautorinnen und Performancekünstler zwischen 2006 und 2009 das Leben und den Alltag der Menschen in Wittenberge begleitet. Sie wollten herausfinden, wie es sich weiterlebt, wenn die Grundlage für den Lebenszuschnitt einer kommunalen Ökologie mit einem Mal verschwunden ist.

Die Forscher von Marienthal fanden seinerzeit eine müde Gesellschaft vor, die alle Energien fürs Vergeuden von Zeit verbrauchte. In Wittenberge haben wir eine aufgesprengte Gesellschaft vor Augen, wo es Gewinner und Verlierer, Schlaue und Düpierte, Gebrauchte und Überflüssige gibt. Was für eine öffentliche Infrastruktur hält man für eine solch fragmentierte Gesellschaft bereit? Was sollte man lassen, was muss man tun und wo ist Hopfen und Malz verloren?

Professor Heinz Bude ist Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel und leitet am Hamburger Institut für Sozialforschung den Arbeitsbereich „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“.

Diese Veranstaltung ist Teil der Vortragsreihe Zivilengagement – Theorie, Geschichte und Perspektiven der Forschung.