ChatGPT, Cobots & Co
Künstliche Intelligenz und Automatisierung werden zur Zeit heftig diskutiert. Wie können diese neuen Technologien und Anwendungen Menschen bei ihrer Arbeit unterstützen? Werden Arbeitsplätze durch KI ersetzt? Die Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und vor Fremdbestimmung ist eine weit verbreitete Sorge. Ziel der hier vorgestellten Studie ist es herauszufinden, wie weit digitale Assistenzsysteme verbreitet sind, wer sie nutzt und wie sich das auf verschiedene Beschäftigtengruppen auswirkt.
Seit einiger Zeit machen Künstliche Intelligenz und Automatisierung wieder stark von sich reden – vor allem seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022. ChatGPT reiht sich in eine Reihe neuer Technologien ein, die auf Basis ausgefeilter Algorithmen und großer Datensätze Tätigkeiten automatisieren, die bislang nur von Menschen ausgeübt werden konnten. Diese neuen Technologien können Menschen bei ihrer Arbeit assistieren, indem sie zum Beispiel eigenständig die zu einem Arbeitsschritt passenden Informationen bereitstellen, ihnen Textteile liefern oder Handgriffe für sie erledigen. Diese Technologien werden häufig als Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet. Der Begriff ist jedoch abstrakt, vage und trifft auf viele Anwendungen nicht zu. Daher sprechen wir stattdessen von „digitalen Assistenzsystemen“, um zu verdeutlichen, welche Funktion entsprechende Systeme für Beschäftigte übernehmen: Sie unterstützen sie weitgehend selbstständig bei Aufgaben, die sie in ihrer beruflichen Tätigkeit ausüben. Obwohl bislang nur wenig über ihre Ausbreitung in der Arbeitswelt bekannt ist, dominieren in der öffentlichen Debatte wahlweise Untergangszenarien oder überschwängliche Lobeshymnen auf die Auswirkungen dieser neuen Technologien in der Arbeitswelt. Diese basieren meist jedoch eher auf starken Annahmen über die weitere Entwicklung als auf verlässlichen Daten über ihre Ausbreitung.
Ziel unserer Studie ist es herauszufinden, wie weit digitale Assistenzsysteme tatsächlich verbreitet sind, wer sie nutzt, wie sie sich weiter ausbreiten und wie sich das auf Beschäftigte auswirkt. Um ihre Rolle in der Arbeitswelt für viele verschiedene Tätigkeiten und Bereiche erfassen zu können, messen wir den Einsatz digitaler Assistenzsysteme ausgehend von den beruflich auszuübenden Tätigkeiten. Wir fragen daher nicht nach konkreter Software, bestimmten Anwendungen oder Technologien, sondern danach, welche beruflichen Tätigkeiten solche Systeme selbstständig ausführen beziehungsweise wie sie Beschäftigte bei ihrer Ausübung unterstützen. So können wir die von uns entwickelten Fragen längerfristig einsetzen, da sie nicht von bestimmten Bezeichnungen oder gar Markennamen abhängig sind. Außerdem setzen wir die Messung in Bezug zu den tatsächlich ausgeführten beruflichen Tätigkeiten, können also präziser erfassen, welche Aspekte einer Tätigkeit, welche beruflichen Aufgaben sich ändern.
Wir unterscheiden zwei Typen von digitalen Assistenzsystemen: jene, die Beschäftigen bei kognitiven Tätigkeiten helfen, und jene, die sie bei manuellen Tätigkeiten unterstützen. In die erste Gruppe gehören Technologien, die Texte erkennen oder erstellen können, wie ChatGPT. Auch automatische Übersetzungsprogramme wie DeepL oder spezialisierte Chatbots, die fachliche Fragen beantworten, fallen in diese Kategorie. Eine weitere Kategorie umfasst bildbasierte Technologien, die durch Texteingabe fotorealistische Bilder oder Videos erstellen oder bearbeiten, wie beispielsweise Midjourney. Davon sind wiederum Systeme zu unterscheiden, die selbstständig Daten verarbeiten und Diagnosen erstellen. Zum zweiten Typ, also digitalen Assistenzsystemen, die bei manuellen Tätigkeiten unterstützen, gehören etwa neuartige Roboterarme, die dynamisch mit den Beschäftigten interagieren und sich dabei an ihre Umwelt anpassen, sogenannte Cobots. Darüber hinaus zählen „Wearables“ hierzu, also vernetzte Geräte, die am Körper getragen werden und für die Tätigkeitsausübung relevante Informationen oder Anweisungen bereitstellen.
Um die Verlässlichkeit unserer neu entwickelten Fragen zu digitalen Assistenzsystemen zu prüfen und eine erste Einschätzung von den durch digitale Assistenzsysteme ausgelösten Veränderungen in der Arbeitswelt zu bekommen, haben wir eine telefonische Umfrage unter Beschäftigten in Deutschland durchgeführt. Dabei haben wir sowohl nach unterschiedlichen Tätigkeiten gefragt als auch nach der Arbeitsqualität und danach, wie häufig jemand bei der Arbeit mit Programmen oder Geräten arbeitet, die in verschiedenen Tätigkeitsbereichen selbstständig Aufgaben übernehmen. Dass diese Aufgabe selbstständig von der jeweiligen Anwendung ausgeführt wird, stellt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal dar, weil es die entscheidende Weiterentwicklung gegenüber etablierter Software oder herkömmlicher Robotik ist.
Bei der Nutzung der einzelnen digitalen Assistenzsysteme zeigen sich je nach Tätigkeit erhebliche Unterschiede. Am häufigsten kommen sie bei der selbstständigen Textverarbeitung und Texterstellung zum Einsatz. Wearables und Cobots hingegen unterstützen noch selten bei der Ausübung manueller Tätigkeiten. Sie werden häufiger von Personen genutzt, die kein Abitur haben – im Gegensatz zu fast allen anderen Tätigkeitsbereichen, wie Bilderstellung, Spracherkennung oder Diagnostik. In der Abbildung werden die entsprechenden Unterschiede nach Bildung deutlich. Die Verbreitung von Wearables und Cobots war in der Stichprobe sehr niedrig, sodass wir dieses Ergebnis nur zurückhaltend interpretieren können.
Um den Unterschied zwischen digitalen Assistenzsystemen und etablierter Software abbilden zu können, haben wir auch die Nutzung von Standard-Bürosoftware und spezieller Software wie CAD-Programmen erfasst und in unseren Analysen der Nutzung von digitalen Assistenzsystemen gegenübergestellt. Wie erwartet, sind Standardsoftware und Spezialsoftware weiterverbreitet als digitale Assistenzsysteme, vor allem bei hochgebildeten Erwerbstätigen. Dieser Vergleich verdeutlicht darüber hinaus, dass unser Ansatz zur Erfassung der Nutzung digitaler Assistenzsysteme auch Technologienutzungen umfasst, die vor allem für Beschäftigte mit Tätigkeiten in den unteren Qualifikationsniveaus relevant sind. Dass die Korrelation zwischen der Nutzung von klassischen Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) und einigen digitalen Assistenzsystemen zudem gering ist, weist ebenfalls darauf hin, dass wir mit digitalen Assistenzsystemen eine zusätzliche Dimension von Technologienutzung messen, die durch die Frage nach Standardsoftware nicht abgedeckt wird. Erst durch die gesonderte Betrachtung digitaler Assistenzsysteme wird das beschriebene differenzierte Bild möglich. Das sollte auch in der Forschung zu digitalisierungsbedingter sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.
Abbildung 1:
Schon bei früheren Formen der Digitalisierung am Arbeitsplatz wurde viel über ihre Auswirkung auf verschiedene Beschäftigtengruppen und soziale Spaltung auf dem Arbeitsmarkt diskutiert. So ist beispielsweise die Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung eine weitverbreitete Sorge. Aber auch der Zusammenhang von Digitalisierung und Qualität der Arbeit nimmt in der gesellschaftlichen Debatte viel Raum ein, da die Verbreitung digitaler Technologien einerseits mit der Erleichterung von physisch anstrengender Arbeit und Arbeitsflexibilisierung einhergeht. Andererseits zeigen Studien, dass Digitalisierung in einigen Berufen und Branchen zu höherer Arbeitsintensität, zu mehr verarbeitenden Informationen und größerer Fremdbestimmung führt, weil Beschäftige Aufgaben schneller und mit weniger eigener Gestaltungsmöglichkeit erledigen müssen.
Hat die Nutzung von digitalen Assistenzsystemen ähnliche Auswirkungen? Unterscheiden sich Erwerbstätige, die solche Systeme nutzen, hinsichtlich der von ihnen empfundenen Fremdbestimmung, ihrer Sorge um einen Arbeitsplatzverlust und ihrer Arbeitszufriedenheit von Personen, die solche Systeme in ihrer Arbeit nicht nutzen? Bei wahrgenommener Fremdbestimmung ist das der Fall. Diese wird weitaus häufiger von Erwerbstätigen berichtet, die mindestens eines der Systeme wenigstens selten nutzen, als von Erwerbstätigen, die nie auch nur eines der Systeme gebrauchen. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass vor allem die Nutzung von Technologien der Texterkennung und -erstellung sowie der digitalen Anweisung zu diesem Unterschied führen.
Von Sorgen über einen Arbeitsplatzverlust wird zwar häufiger berichtet als von Fremdbestimmung; diese Sorgen betreffen jedoch beide Gruppen in gleichem Maße. Auch bei der Zufriedenheit mit der Arbeit scheint es keine Rolle zu spielen, ob Erwerbstätige digitale Assistenzsysteme für die Erledigung einzelner Aufgaben einsetzen (Abbildung 2). Abgesehen von der wahrgenommenen Fremdbestimmung können wir also nicht beobachten, dass die neueren Technologien sich in besonderer Weise auf die Rahmenbedingungen der Arbeit für Beschäftigte auswirken oder sie derzeit den sogenannten „digital divide“, also die soziale Spaltung zwischen Beschäftigtengruppen aufgrund der Ausbreitung digitaler Technologien in der Arbeitswelt, vertiefen.
Abbildung 2:
Für die gesellschaftliche Debatte wie die sozialwissenschaftliche Forschung gilt es festzuhalten, dass digitale Assistenzsysteme eine eigene Qualität haben. Im Vergleich zu etablierter Software und vernetzten digitalen Technologien am Arbeitsplatz sehen wir sowohl deutliche Unterschiede in ihrer Nutzung als auch in ihrem Zusammenhang zur wahrgenommenen Fremdbestimmung. Dieser zweite Befund scheint uns besonders wichtig, weil sich darin das zentrale Unterscheidungsmerkmal, die technologische Weiterentwicklung und eigene Qualität spiegelt: Digitale Assistenzsysteme erledigen aus Sicht der jeweiligen Beschäftigten ihre Aufgaben selbstständig. Die Kehrseite dieser Selbstständigkeit – darauf weisen unsere Analysen deutlich hin – ist die Zunahme wahrgenommener Fremdbestimmung am Arbeitsplatz. Ein guter Teil der enormen Aufmerksamkeit, die diese Entwicklungen aktuell erfahren, folgt nun aus der Sorge um die Auswirkungen genau dieses Zusammenhangs zwischen digitalen Assistenzsystemen und Fremdbestimmung bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten.
Die erhöhte Fremdbestimmung scheint sich nicht direkt in geringere Arbeitsqualität zu übersetzen. Diese Ambivalenz, die sich bereits in qualitativen Studien andeutete, sollte noch weiter erforscht werden. Im Lichte dieser Befunde erweist sich daher auch unsere Idee der Messung digitaler Assistenzsysteme basierend auf den beruflichen Tätigkeiten, die jemand ausübt, als vielversprechend. Sie verspricht, dazu beitragen zu können, die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf den Weiterbildungsbedarf, aber auch die Beschäftigungssicherheit, -qualität und berufliche Zufriedenheit genauer und treffender untersuchen zu können, als dies bislang der Fall ist.
Daten: Daten aus WZB-Entwicklungsstudie „Digitale Assistenzsysteme“ für das Nationale Bildungspanel (NEPS). Telefonische Befragung von 240 Personen, die von Oktober bis Dezember 2022 vom Zentrum für empirische Sozialforschung (ZeS) der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurde. Es handelte sich um eine Kaltakquise mit Festnetz- und Mobilnummern. In der Stichprobe sind nur zum Befragungszeitpunkt erwerbstätige Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren, davon 45 % Frauen, 33 % mit Hochschulreife, 24 % im produzierenden Gewerbe tätig. |
Literatur
Friedrich, Teresa S./Laible, Marie-Christine/Pollak, Reinhard/Schongen, Sebastian/Schulz, Benjamin/Vicari, Basha: „Grasping Digitalization in the Working World: An Example from the German National Educational Panel Study“. In: Soziale Welt, 2021, Jg. 72, H. 4, S. 415-452. DOI: 10.5771/0038-6073-2021-4-415.
Giering, Oliver/Fedorets, Alexandra/Adriaans, Jule/Kirchner, Stefan: Künstliche Intelligenz in Deutschland: Erwerbstätige wissen oft nicht, dass sie mit KI-basierten Systemen arbeiten. DIW Wochenbericht, 2021, 48. DOI: 10.18723/DIW_WB:2021-48-1.
Krzywdzinski, Martin/Pfeiffer, Sabine/Evers, Maren/Gerber, Christine: Measuring Work and Workers: Wearables and Digital Assistance Systems in Manufacturing and Logistics. Discussion Paper SP III 2022-301. Berlin: WZB 2022. Online: https://ideas.repec.org//p/zbw/wzbgwp/spiii2022301.html (Stand 14.06.2023).
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21.06.2023