Neue Wege in die Ausbildung: Übergangskarrieren benachteiligter Jugendlicher
Das sogenannte „Übergangssystem“ hat seit dem ersten Nationalen Bildungsbericht 2006 in der Öffentlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Angesichts der enormen Expansion des Übergangssystems in den letzten Jahrzehnten sowie seiner finanziellen und sozialen Kosten ist diese Aufmerksamkeit mehr als berechtigt. Bei dem Übergangssystem handelt es sich um (Aus-)Bildungsangebote, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen und zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss im Sinne des dualen oder des Schulberufssystems führen. Die Angebote haben allerdings weder „System“, noch führen sie in der Mehrzahl zu erfolgreichen „Übergängen“. Ihrer institutionellen Definition nach zielen sie auf eine Verbesserung der individuellen Kompetenzen von Jugendlichen zur Aufnahme einer Ausbildung, ggf. auch einer Beschäftigung. Dies soll durch Verbesserung des Allgemeinbildungsniveaus (einschließlich des Nachholens eines Schulabschlusses) oder durch Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und/oder Teilqualifizierung für einen Übergang in eine Ausbildung des dualen oder des Schulberufssystems oder durch eine Kombination allgemein bildender, motivationaler und berufsvorbereitender Elemente geschehen. Institutionell finden wir ein breites Spektrum von nebeneinander laufenden Angeboten unterschiedlicher Träger des Übergangssystems und unterschiedlicher Dauer. Einen wesentlichen Anteil am Übergangssystem haben die von der Bundesagentur für Arbeit initiierten und finanzierten Maßnahmen zur Berufsvorbereitung. Eine neue Entwicklung ist dabei die Vorverlagerung von berufsvorbereitenden Maßnahmen bereits in die Schulzeit, insbesondere an Förder- und Hauptschulen. Dazu wurden/werden Praxis-, Berufstarter- oder Werkstattklassen eingerichtet. Markante Gemeinsamkeit dieser Maßnahmen ist, dass sie – entsprechend der Logik des deutschen Bildungsverständnisses und -systems – zu einer internen Differenzierung, d. h. zu einer Segregation innerhalb von Hauptschulen führen, indem „akut abschlussgefährdete Schüler/innen“ in Sonderklassen zusammengefasst werden. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sie eine stärkere Praxisorientierung der schulischen Bildung dieser Jugendlichen durch die Einführung von einem oder zwei Praxistagen pro Woche in Betrieben (ab der 8. oder 9. Klasse) beinhalten – mit der Idee, dass diesen Jugendlichen einerseits das Lernen in „praktischen“ Kontexten leichter falle und ihre Übergänge in eine Ausbildung andererseits aufgrund einer fehlenden Berufsorientierung erschwert seien. Über die Effekte und Wirksamkeit dieser (Aus-)Bildungsangebote im Übergangssystem im Sinne von Kompetenzzuwachs, Zertifikaten oder Vermittlungsquoten in eine reguläre Ausbildung ist „Maßnahmen“-vergleichend sowie dem State-of-the-Art entsprechend im Vergleich zu adäquaten Kontrollpopulationen wenig bekannt. Es existieren v. a. Untersuchungen mit Teilnehmer/innen einzelner Maßnahmetypen. Zudem ist das Wissen über die kurz- und längerfristigen Übergänge gering. Die Forschung der Abteilung möchte dazu beitragen, hier Wissenslücken zu schließen. Diese betreffen einerseits die Übergänge benachteiligter Jugendlicher nach den Maßnahmen sowie ihren längerfristigen Verbleib im Berufsbildungssystem oder auf dem Arbeitsmarkt und anderseits die Bedeutung struktureller (z. B. regionale Ausbildungsmarktsituation), institutioneller (Maßnahmen-Unterschiede) sowie individueller (sozialstruktureller, kognitiver und nicht-kognitiver) Faktoren in Wechselwirkung mit ihren Bildungsverläufen und -zertifikaten. Neben der Frage, inwieweit das sogenannte Übergangssystem selbst zur Verfestigung von Bildungsarmut im Lebensverlauf beiträgt, sind hier jene Jugendlichen von besonderem Interesse, denen „against the odds“ der Übergang in eine voll qualifizierende Ausbildung gelungen ist. Von ihnen können wir lernen, was förderliche Faktoren sind und wie diese möglicherweise in bildungs-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Interventionen umgesetzt werden können.
Für die Analysen werden Daten, die in Zusammenarbeit mit dem Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) zu diesen neuen Interventionsmaßnahmen sowie zu Übergängen von Schulabgänger/innen aus „normalen“ Hauptschulklassen (in Niedersachsen und dem Saarland) erhoben wurden/werden, sowie Daten der Deutschen Lebensverlaufsstudie und Makroanalysen zum Ausbildungssystem verwendet. Ab 2012 beginnend können hierfür auch die Längsschnittdaten der Etappe 6 „Berufliche Bildung und Übergänge in den Arbeitsmarkt“ des Nationalen Bildungspanels (NEPS) verwendet werden.
Ausgewählte Publikationen
Baethge, Martin/Solga, Heike/Wieck, Markus (2007). Berufsbildung im Umbruch – Signale eines überfälligen Aufbruchs. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. (online verfügbar: http://library.fes.de/pdf-files/stabsabteilung/04258/studie.pdf).