Städte-Maut

"Der Teufel steckt im Detail"

Interview mit WZB-Mobilitätsforscher Weert Canzler zur Idee einer City-Maut

Herr Canzler, Sie forschen am WZB gemeinsam mit Lisa Ruhrort und Andreas Knie zur Verkehrswende und den dafür notwendigen Maßnahmen. Ist die Mehrheit der Bevölkerung bereit, spürbare Einschnitte beim Verkehr zu akzeptieren, zum Beispiel auch auf das eigene Auto zu verzichten?

Weert Canzler: Lange hieß es, man könne in der Verkehrspolitik nichts gegen die Übermacht des Autos tun. Das stimmt so nicht mehr. Ein Großteil der Bevölkerung und auch viele AutofahrerInnen sind der Meinung, dass ein „weiter-so“ im Verkehr keine Option ist.  In verschiedenen jüngeren Befragungen gibt es Mehrheiten für eine stärkere Förderung des Öffentlichen Verkehrs und für eine bessere Infrastruktur für den Radverkehr, selbst wenn das zu Lasten von Autofahrstreifen und Parkplätzen geht. Dies hat sich auch in unseren Umfragen und persönlichen Interviews bestätigt, die wir in den vergangenen Monaten im Rahmen eines von der Stiftung Mercator geförderten gemeinsamen Forschungsvorhabens von WZB und dem RWI in Essen deutschlandweit geführt haben. Doch nicht nur bei den Einstellungen ändert sich einiges. Auch das Verkehrsverhalten ist längst nicht mehr so stark auf das Auto fixiert wie oft angenommen.

Wie sieht es denn mit der Akzeptanz einer City-Maut in der Bevölkerung aus?

Canzler: Aus den Erfahrungen mit City-Maut-Modellen in Stockholm, London oder Mailand wissen wir, dass Bedenken vor allem bei den PendlerInnen bestanden. Sie fürchteten zusätzlich belastet zu werden. Die Skepsis ist verbreitet, dass es sich bei der Maut vor allem um eine neue Variante der Einnahmegenerierung für die Städte handelt. Andererseits sehen wir, dass die Skepsis dann verschwand, als klar wurde, dass mit der Maut auch der Autoverkehr insgesamt sinkt. Zudem wurde für die BürgerInnen der Öffentliche Verkehr offensichtlich und spürbar besser, weil wegen der kommunalen Mehreinnahmen aus der City-Maut mehr in ihn investiert werden konnte.

Wie kann eine City-Maut Ihrer Meinung nach sozial verträglich umgesetzt werden?

Canzler: Der beste Weg für mehr Akzeptanz einer City-Maut besteht darin, mit den Einnahmen den Öffentlichen Verkehr und die Fahrradinfrastruktur zu verbessern. Außerdem sind günstige und vor allem einfache Ticketangebote wichtig, für Geringverdiener sollte es verbilligte Zeitkarten geben. Ein guter und bezahlbarer Öffentlicher Verkehr nutzt allen VerkehrsteilnehmerInnen. Dabei ist beispielsweise ein 365-Euro-Jahresticket allemal einem Nulltarif vorzuziehen. Bein kostenlosen Öffentlichen Verkehr verzichtet das Verkehrsunternehmen auf Einnahmen, die es dringend braucht, um das Angebot zu erweitern und zu verbessern. Eine interessante Variante der City-Maut könnte es im Übrigen sein, diese mit dem Recht zu koppeln, den Öffentlichen Personenverkehr nutzen zu dürfen. Autofahrende hätten dann die Wahl, mit der Mautzahlung den eigenen Wagen in der Stadt zu nutzen oder aber ihn auf dafür ausgewiesenen Parkplätzen abzustellen und kostenlos auf Busse oder Bahnen umzusteigen.

Gemeinsam mit einer Reihe von namhaften ÖkonomInnen schlagen Sie in einem Positionspapier vor, die City-Maut zunächst in einzelnen Modellgebieten zu erproben. An welche Städte denken Sie?

Canzler: Theoretisch klingt die Idee einer City-Maut bestechend, um die Kosten des Autofahrens zumindest teilweise an die Verursacher zurückzugeben und den Verkehrsaufwand in den Städten zu begrenzen. Doch ist ihre Umsetzung nicht einfach, und der Teufel steckt im Detail. Zu klären ist, wo eine City-Maut-Zone anfängt und endet, wie hoch die Gebühren sein sollen und wie sie gestaffelt werden. Damit hängt die Frage zusammen, wie und in welchem Umfang regelmäßige PendlerInnen und sporadische BesucherInnen zur Kasse gebeten werden und welche Ausnahmen für diejenigen gemacht werden, die aus gewerblichen oder auch aus gesundheitlichen Gründen auf ihren Wagen angewiesen sind. Offen ist auch, welche Erfassungs- und Überwachungstechniken eingesetzt werden, damit die operativen Kosten nicht aus dem Ruder laufen und zugleich der Datenschutz gewährleistet ist. Weil es so viele offene Punkte bei der Einführung und beim Betrieb von City-Maut-Modellen gibt, schlagen wir vor, zunächst einen City-Maut-Wettbewerb zu starten. In diesem Wettbewerb sollen diejenigen Städte ausgewählt und mit öffentlichen Fördergeldern „belohnt“ werden, die einen überzeugenden Vorschlag auf den Tisch legen, mit dem die Probleme des überbordenden Autoverkehrs mithilfe einer City-Maut gelöst werden können. Da bieten sich zum einen die Städte an, die von Fahrverboten bedroht sind, und zum anderen diejenigen, die eine ambitionierte Verkehrspolitik verfolgen wollen, um den Öffentlichen Verkehr und den Radverkehr zu stärken und damit letztlich die Lebensqualität für alle zu verbessern.

Die Fragen stellte Claudia Roth, WZB.

Berlin, 22. Mai 2019