Tyrannei der Minderheit

Reaktionäre Kräfte der politisch Rechten stellen die US-amerikanische Demokratie vor große Herausforderungen. Sie nutzen veraltete politische Institutionen, um Mehrheiten konsequent zu behindern oder sogar zu überstimmen. In ihrem neuen Buch „Tyranny of the Minority“ (deutsch: Tyrannei der Minderheit) analysieren WZB-Direktor Daniel Ziblatt und sein Koautor Steven Levitsky (Harvard University), welche Institutionen eine solche Minderheitsherrschaft begünstigen und wo Reformbedarf an der amerikanischen Verfassung besteht.

Die Verfassung der Vereinigten Staaten ist die älteste schriftliche Verfassung der Welt. Im Vergleich zu anderen Demokratien wurde sie nur selten geändert. Dieser Umstand stellt laut Daniel Ziblatt und Steven Levitsky ein großes Problem für die amerikanische Demokratie dar. Denn reaktionäre Kräfte der Republikanischen Partei nutzen die veralteten politischen Institutionen, um Mehrheiten systematisch zu behindern oder gar zu überstimmen. Die Autoren fordern eine Verfassungsreform, um die amerikanische Demokratie vor einer weiteren Aushöhlung zu bewahren. Insbesondere die Abschaffung elitärer Oberhäuser, indirekter Wahlen und der lebenslangen Amtszeit von Richtern ist ihnen ein Anliegen. Diese Institutionen hätten die Republikanische Partei geschützt und ihr ermöglicht, immer weiter nach rechts zu rücken – obwohl sie mit einer Ausnahme bei keiner der letzten acht Präsidentschaftswahlen die Mehrheit der Stimmen erhielt.

In „Tyranny of the Minority“ illustrieren die Autoren anhand zahlreicher Beispiele – vom Frankreich der 1930er-Jahre bis zum heutigen Thailand –, warum und wie sich politische Parteien gegen die Demokratie wenden. Ihre Analyse zeigt, dass auch große Teile der republikanischen Parteiführung in den USA die Bindung an demokratische Prinzipien verloren haben. Ein Schlüsselmoment ist für Ziblatt und Levitsky unter anderem die Kongressabstimmung 2020, in der 147 Republikaner versuchten, das Wahlergebnis zu kippen. Dies offenbare, dass die Bedrohung der Demokratie über Donald Trump hinausgeht und bereits tiefer in der Partei verwurzelt ist. Sie warnen nachdrücklich vor den Bemühungen der amerikanischen Rechten, die multiethnische Demokratie mithilfe systematischer Durchsetzung von Minderheitsinteressen zu untergraben. Zum Erhalt der Demokratie brauche es dringend politische Reformen, um die Notwendigkeit der Mehrheitsherrschaft mit der Notwendigkeit des Schutzes von Minderheiten in Einklang zu bringen, sowie eine Bürgerbewegung, die genügend Druck auf die Gesetzgeber ausübt, um zu handeln.

22.11.2023 / MP