Genehmigung von Privatschulen: Bundesländer missachten Grundgesetz
Die Bundesländer missachten Vorgaben des Grundgesetzes über die Genehmigung von Privatschulen. Die laut Verfassung verbotene „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ an Privatschulen wird durch die Schulpolitik und Verwaltungspraxis unterlaufen. Die vom Grundgesetz beabsichtigte soziale Durchmischung der Privatschulen findet nicht statt. Das belegen Michael Wrase und Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einer Studie, die jetzt in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht erschienen ist.
Für ihre Studie werteten Michael Wrase (Rechtswissenschaftler) und Marcel Helbig (Bildungssoziologe) einschlägige Gerichtsurteile und Gesetze sowie Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften der Bundesländer aus. Außerdem verarbeiteten sie Auskünfte aller zuständigen Landesministerien (bis auf Hessen) über die Verwaltungspraxis.
Aus der bisherigen Rechtsprechung leiten die Forscher neun Grundsätze ab, die eine effektive Einhaltung des Sonderungsverbots (Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG) gewährleisten müssten. Dazu zählen unter anderem eine Konkretisierung des Sonderungsverbots in Landesgesetzen, Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften; die Benennung einer Höchstgrenze für das Schulgeld; die Befreiung vom Schulgeld für Geringverdiener bzw. Sozialleistungsempfänger und die Kontrolle der Aufnahmepraxis.
Von den 16 Bundesländern erfüllen nur Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zumindest fünf der neun Grundsätze. Bundesländer wie Thüringen oder Bremen beachten keine dieser Vorgaben.
Die Mehrheit der Länder konkretisiert das Sonderungsverbot nicht in eigenen Landesgesetzen. Für Genehmigungsbehörden und Schulträger ist somit nicht klar, wie Schulgelder ermittelt und bis zu welcher Höhe sie erhoben werden können. „Diese gesetzliche Nicht-Regelung fordert eine uneinheitliche Verwaltungspraxis geradezu heraus“, schreiben die Forscher.
So benennen die meisten Länder gar keine Höchstgrenze für das Schulgeld. In Ländern mit einer Obergrenze liegt diese über den 160 Euro, die von der Rechtsprechung als Maximum für das durchschnittliche Schulgeld angesehen wird. In Berlin wird den Privatschulen sogar gewährt, 100 Euro und mehr monatliches Schulgeld von SGB II-Empfängern zu erheben.
Die tatsächliche Aufnahmepraxis an den Privatschulen auf Einhaltung des Sonderungsverbots wird von keinem einzigen Bundesland überprüft. Eine Einkommensstaffelung der Schulgelder allein reiche nicht, um dem Sonderungsverbot Rechnung zu tragen, betonen die Forscher. „Es besteht die Gefahr, dass die Schulen Kinder von Eltern mit hohem Einkommen faktisch bevorzugen, da sie so höhere Einnahmen für den laufenden Betrieb, auch unabhängig vom Schulgeld erhalten.“ Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen die „strikte“ Einhaltung des Sonderungsverbots gefordert und dies zur Grundlage der staatlichen Förderung von Privatschulen gemacht. Nur wenn die Zulassung in der Praxis unabhängig vom Einkommen der Eltern erfolgt und dies auch effektiv kontrolliert wird, werde eine Sonderung der Kinder durch die Genehmigung der Ersatzschule nicht gefördert.
Da es aber kein Monitoring der Aufnahmepraxis gibt, zum Beispiel über anonymisierte Erhebung von Einkommensdaten der Eltern, ist das tatsächliche Ausmaß der sozialen Ungleichverteilung der Schüler auf Privatschulen in allen Bundesländern unbekannt.
Übersicht über die Regelungen zum Sonderungsverbot in den deutschen Bundesländern(PDF)
Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht erschienen.
Michael Wrase forscht am WZB und ist Professor für Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Sozial- und Bildungsrecht an der Stiftung Universität Hildesheim.
Marcel Helbig ist Professor für Bildung und soziale Ungleichheit am WZB und an der Universität Erfurt.
Pressekontakt:Claudia Roth
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