Wenn Waldbrände die Anti-Zuwanderungs-Debatte anfachen
Klimawandel, Verschwörungstheorien und die Notwendigkeit einer transparenten Politik
Gülay Türkmen
Im Sommer 2021 wüteten Waldbrände an der türkischen Mittelmeer- und Ägäis-Küste. Zwischen dem 28. Juli und dem 13. August brachen in 54 Provinzen 299 Waldbrände aus, die neun Menschenleben forderten und Tausende obdachlos machten. Mehrere Städte und Dörfer wurden evakuiert; zahllose Tiere fanden den Tod. Obwohl Waldbrände im Mittelmeerraum weit verbreitet sind, waren die Brände in diesem Sommer die verheerendsten in der jüngeren türkischen Geschichte: Bis Mitte August waren mehr als 180.000 Hektar verbrannt, was fast dem Neunfachen des saisonalen Durchschnittswerts für den Zeitraum von 2008 bis 2020 entspricht.
Für Eingeweihte war dies wenig überraschend: Nach den unterdurchschnittlichen Niederschlägen in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 (dem trockensten der letzten fünf Jahre) herrschte im Januar 2021 eine intensive Dürre im Land. Mit abnehmenden Niederschlägen und einem Anstieg der monatlichen Durchschnittstemperatur um 2,6°C war der Mai 2021 der wärmste Mai seit über einem halben Jahrhundert. In der zweiten Julihälfte 2021 kam es zu einer heftigen Hitzewelle, bei der in einigen Regionen Temperaturen von bis zu 12°C über dem Durchschnitt gemessen wurden. Am 20. Juli wurde in Cizre, einer Stadt in Südostanatolien, eine Temperatur von 49,1°C gemessen und damit der 60 Jahre alte Temperaturrekord der Türkei gebrochen.
Auch andere Länder im Mittelmeerraum waren von dieser beispiellosen Hitzewelle und Feuersbrünsten betroffen. Im August 2021 wurde auf Sizilien eine Temperatur von 48,8 °C gemessen – ein neuer Hitzerekord nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa. Einen landesweiten Temperaturrekord gab es auch in Griechenland, wo das Nationale Observatorium Athen 46,3°C in der Stadt Makrakomi feststellte. Frankreich, Spanien und Portugal gaben allesamt Hitzewarnungen heraus, während der Libanon, Tunesien, Algerien und Libyen ebenfalls von Waldbränden heimgesucht wurden. Insgesamt bestätigen diese Entwicklungen die Prognose, dass der Mittelmeerraum – im jüngsten Bericht des UN-Weltklimarats als Hotspot des Klimawandels eingestuft – unverhältnismäßig stark von den Folgen der Erderwärmung betroffen sein wird, unter anderem durch die zunehmende Wahrscheinlichkeit extremer Dürren und den unwiederbringlichen Verlust bestimmter Ökosysteme.
Ungeachtet all dieser Tatsachen wurde in der Türkei zunächst jedoch nicht der Klimawandel für die Waldbrände verantwortlich gemacht, sondern „unbekannte Brandstifter“. Nach dem Ausbruch der ersten Brände am 28. Juli häuften sich Theorien, die die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Schuldigen ausmachten. So behauptete die regierungsnahe Tageszeitung Star am 31. Juli, dass die Brände am ehesten auf die PKK zurückzuführen seien. Am 29. Juli veröffentlichte Yeni Şafak, eine weitere regierungsnahe Tageszeitung, einen Artikel mit der Überschrift „PKK brennt Wälder nieder: Zahlreiche Brandstiftungen in den letzten 30 Jahren“. Diese Theorien wurden noch verstärkt, als am 1. August die „Kinder des Feuers“, eine PKK-Splittergruppe, eine Erklärung abgaben, in der sie sich zu den Bränden bekannten. Daraufhin erklärte Präsident Erdoğan in einem Fernsehinterview, dass „die Polizei etliche Personen verhaftet hat, deren Familien mit der PKK in Verbindung stehen, und prüft, ob diese Personen hinter den Bränden stecken“.
„Wahrscheinlich ist die PKK an den Waldbränden schuld“ ist eine gängige Behauptung, die in der türkischen Politik fast jeden Sommer zu hören ist, wenn wieder Feuer wüten. Eine andere immer wiederkehrende Behauptung betrifft regierungsnahe Bauunternehmen, die im Zuge des beispiellosen Baubooms unter der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) stetig gewachsen sind. Durch diesen Bauboom hat sich die Größe der Waldgebiete, die für touristische oder kommerzielle Zwecke ausgewiesen wurden, immens vergrößert. Darüber hinaus wurden Tausende Hektar Wald gerodet, um Platz für Mega-Bauprojekte wie Flughäfen, Autobahnen oder Hotels zu schaffen. Es hat auch zahlreiche Fälle gegeben, in denen abgebrannte Küstenwaldgebiete für den Bau von Luxushotels und Resorts genutzt wurden. Aufgrund dieser Vorgeschichte neigen vor allem Wähler:innen der Oppositionsparteien dazu, die Baufirmen als „Brandstifter“ zu sehen, sobald wieder Waldbrände ausbrechen.
Im letzten Sommer jedoch tauchte ein neuer, unerwarteter „Schuldiger“ im gesellschaftlichen und politischen Diskurs auf: Geflüchtete aus Afghanistan, die einige Wochen vor den Waldbränden in großer Zahl in der Türkei eingetroffen waren. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) bezifferte die Zahl der afghanischen Asylbewerber:innen in der Türkei im September 2021 auf etwa 125.000 und die Gesamtzahl der afghanischen Geflüchteten auf etwa 300.000 (andere Schätzungen kommen sogar auf rund 500.000). Die meisten von ihnen sind junge Männer, die aus ihrem vom Krieg zerrissenen Land fliehen, in der Hoffnung, eine Arbeit zu finden, die es ihnen ermöglicht, Geld an ihre Familien in Afghanistan zu überweisen. Da die Türkei Migrant:innen aus außereuropäischen Ländern keinen vollen Flüchtlingsstatus gewährt und den Status des vorübergehenden Schutzes nur syrischen Geflüchteten vorbehält, können Afghan:innen lediglich internationalen Schutz beantragen, der ihnen weniger Rechte einräumt und sie in Unsicherheit lässt, während sie auf einen Termin zur Feststellung des Flüchtlingsstatus warten. Seit 2018, als das UNHCR die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Anträgen nicht syrischer Staatsbürger:innen an die türkische Regierung übertrug, haben weniger Afghan:innen individuellen Schutz beantragt, aus Angst, abgelehnt und abgeschoben zu werden. Einem Bericht vom März 2021 zufolge bleibt die Türkei für afghanische Schutzsuchende trotz allem das wichtigste Transitland auf ihrer gefährlichen Reise nach Europa und „Afghanistan in den letzten drei Jahren das Hauptherkunftsland für neu in der Türkei ankommende Geflüchtete“.
Nach der Ankündigung des US-Truppenabzugs und der zunehmenden Machtübernahme der Taliban in Afghanistan setzte sich ein neuer Strom von Schutzsuchenden über die iranisch-türkische Grenze in Bewegung. Schätzungen zufolge erreichten im Juli täglich zwischen 500 und 2.000 Afghan:innen die Türkei. In zahlreichen Nachrichtenberichten wurden sie als „Sicherheitsrisiko“ dargestellt, und innerhalb weniger Tage bildete sich ein antiafghanischer Diskurs heraus. Am 29. Juli veröffentlichte die säkular-nationalistische Tageszeitung Cumhuriyet einen Artikel mit der Überschrift „Kritische Studie zu Afghanen: Stellen Migranten ein Sicherheitsproblem dar?“. Parallel dazu wurden in den sozialen Medien Videos von jungen afghanischen Männern geteilt, die zu Fuß auf Autobahnen unterwegs waren, insbesondere in Städten wie Ağrı, Van, Iğdır und Niğde. Diese Videos wurden von Fragen begleitet wie „Wer hat die reingelassen?“ und „Werden die türkischen Grenzen überhaupt bewacht?“. Die Republikanische Volkspartei (CHP), wichtigste Oppositionspartei im Land, wartete sogar mit dem Slogan auf: „Grenze bedeutet Keuschheit“ (sınır namustur).
Während der anti-afghanische Diskurs hochkochte, brachen die Waldbrände aus und boten damit den perfekten Anlass für das Aufkommen von Verschwörungstheorien. In den sozialen Medien tauchten Behauptungen auf, afghanische Geflüchtete hätten die Wälder in Brand gesetzt. „Ein Bekannter hat die Gruppe von Afghanen gesehen, die Mazıköy angezündet haben; er hat einen von denen geschnappt und der Gendarmerie übergeben, die ihn dann freigelassen hat“, hieß es in einer WhatsApp-Nachricht an eine Naturschutzgruppe in Bodrum, einer Küstenstadt am Mittelmeer. Am 2. August teilte İlay Aksoy, ein Gründungsmitglied der nationalistischen Partei der Guten (İyi Parti), ein Video auf ihrem Twitter-Account. Das Video, angeblich in Datça aufgenommen, zeigt eine Gruppe junger Männer, die von den Einheimischen auf einem Hügel am Meer zusammengetrieben werden, verbunden mit der Ankündigung, dass „alle Flüchtlinge gefangen und die Gendarmerie alarmiert und auf dem Weg ist“. Aksoy fragte: „Die Autobahn Datça-Marmaris ist aufgrund der Brände gesperrt. Wer also hat diese Menschen hergebracht und mit welchem Ziel?“ Ein weiteres auf YouTube hochgeladenes Video mit dem Titel „Wer verbrennt unsere Wälder?“ zeigte eine andere Gruppe von Männern in einem Waldgebiet in Meşelik, verknüpft mit der Behauptung, dass „viele Afghanen im Wald gefangen wurden; viele weitere sollen sich dort aufhalten, und die Gendarmerie durchkämmt die Gegend.“
Als Reaktion auf diese Versuche von „Wutbürger:innen“, sich als selbsternannte Sicherheitskräfte aufzuspielen, musste die Gendarmerie dafür sorgen, dass „alles unter Kontrolle ist“, und forderte die Einheimischen auf, zu Hause zu bleiben. Dies hielt einige jedoch nicht davon ab, unaufgefordert Verantwortung zu übernehmen. Umweltaktivist:innen, die bei der Evakuierung von Dörfern und Städten halfen, beklagten sich über Gruppen „wütender Anwohner:innen“, die stichprobenartig Ausweiskontrollen durchführten und Pkws anhielten, um zu überprüfen, ob sie afghanische Flüchtlinge an Bord hatten. Ein Aktivist in Bodrum, mit dem ich während meines Besuchs im August sprach, erzählte: „Als hätten wir nichts Besseres zu tun, mussten wir uns mit diesen Männern herumschlagen, die uns ‚warnten‘, nicht zu viel herumzulaufen, wenn wir nicht von einem Irrläufer getroffen werden wollten.“ In einer Presseerklärung vom 6. August gab die Staatsanwaltschaft von Bodrum bekannt, dass eine Untersuchung zu der Beschwerde eingeleitet wurde, dass Zivilist:innen am 5. August die Autobahn Milas-Yatağan blockiert hätten.
Die Brände in der Türkei lassen sich tatsächlich zu einem großen Teil auf menschliches Verhalten zurückführen. Allerdings nicht so, wie die „wütenden Einheimischen“ glauben. „Menschliche Aktivitäten wie Landrodung, industrielle Entwicklung, forstwirtschaftliche Gewinnung von Nichtholzprodukten, Umsiedlung und Jagd“ zählen zu den häufigsten Ursachen für Waldbrände. Bei sengender Hitze entstehen Brände in diesen ohnehin schon trockenen Regionen auch durch Grillpicknicks in Waldgebieten oder zurückgelassene Glasflaschen, die als Brenngläser dienen. Obwohl Brandstiftungen nicht völlig ausgeschlossen werden können, sind sie nach offiziellen Angaben selten. Laut der Generaldirektion für Forstwirtschaft wurden von den 12.604 Waldbränden zwischen 2015 und 2019 nur 664 vorsätzlich gelegt. Wie erklärt sich also die leichte Verbreitung von Gerüchten, dass afghanische Geflüchtete die Brände gelegt haben?
Wie die Forschung zeigt, gehen Verschwörungstheorien mit einem geringen Vertrauen in andere Menschen, staatliche Institutionen und die politische Klasse sowie mit einem hohen Maß an Polarisierung einher. Den Daten der OECD und des World Values Survey zufolge gehört die Türkei zu den Ländern mit dem höchsten Maß an Misstrauen und Polarisierung. In einem Umfeld, in dem die Menschen weder den Medien noch der Politik vertrauen, sind Verschwörungstheorien an der Tagesordnung. Der Mangel an Transparenz in Regierungshandeln und -verantwortung trägt zur weiteren Verbreitung solcher Theorien bei. Nach den Waldbränden und der Ankunft afghanischer Geflüchteter hat die Regierung eine defensive Haltung eingenommen, anstatt transparente Informationen über ihre Einwanderungspolitik oder ihren Fahrplan für den Kampf gegen die Auswirkungen der Erderwärmung zu liefern. So gab das Innenministerium Anfang Juli eine Erklärung ab, in der es hieß, die Videos, die die Ankunft afghanischer Geflüchteter zeigten, entsprächen „nicht der Realität“ und seien „absichtlich in Umlauf gebracht worden, als Teil einer ‚Wahrnehmungsoperation‘, um die Menschen glauben zu machen, die Regierung habe keine Kontrolle über die Grenzen der Türkei“. In ähnlicher Weise kriminalisierten Regierungsbeamte nach dem Ausbruch von Waldbränden eine von besorgten Bürger:innen gestartete Social-Media-Kampagne. Ziel der Kampagne war es, Spenden für die von den Bränden betroffenen Gebiete zu sammeln und um internationale Hilfe bei der Brandbekämpfung zu bitten, da sich herausstellte, dass die türkischen Löschflugzeuge nicht flugtauglich waren. Während die Staatsanwaltschaft Ermittlungen zu Posts mit dem Hashtag #HelpTurkey einleitete, bezeichnete die Regierung die Kampagne als „gezielten Versuch, die Türkei schwach aussehen zu lassen“. Sie startete daraufhin ihre eigene Gegenkampagne #StrongTurkey mit Beiträgen, die die Reaktion der Regierung auf die Brände lobten.
Transparentes Regierungshandeln ist kein Allheilmittel gegen eine einwanderungsfeindliche Haltung, wie das Beispiel Dänemark zeigt, wo syrische Geflüchtete von Abschiebung bedroht sind, obwohl Syrien nach internationalen Berichten kein sicheres Herkunftsland ist. Doch wie der türkische Fall zeigt, trägt der Mangel an Transparenz und Verantwortung in einem Land, das durch ein hohes Maß an Polarisierung und nationalistischer Rhetorik über das gesamte politische Spektrum hinweg geprägt ist, dazu bei, Verschwörungstheorien zu nähren, die vermeintlich separate Themen wie Migration und Klimawandel zusammenbringen – zwei Themen, die sich normalerweise nur im Punkt „Klimamigration“ überschneiden. Daher erweist sich transparentes Regierungshandeln als notwendiges, aber nicht hinreichendes Element im Kampf gegen Klimawandel und einwanderungsfeindliche Diskurse.
6.12.2021