Wohin treibt die Klimabewegung?
Die drohende Umweltkatastrophe könnte die Aktivist*innen radikalisieren – eine Gegenrede
Dieter Rucht
Es rumort in der Klimabewegung. Die drohende Katastrophe, so die Aussage vieler Fachleute und Aktivist:innen, wird durch die bislang beschlossenen Gegenmaßnahmen nicht aufzuhalten sein. Damit stellt sich für die Bewegung die Frage, wie sie den politischen Druck erhöhen kann. Neben der bloßen Fortsetzung friedlich-harmloser Massendemonstrationen und weitgehend symbolischer Akte zivilen Ungehorsams wird eine Radikalisierung erwogen. Die Impulse dazu sind gesetzt, „Öko-Krieger“ sollen den Planeten retten. „How to Blow Up a Pipeline: Learning to Fight in a World on Fire“ lautet ein aktueller Buchtitel. In dem isländischen Spielfilm „Gegen den Strom“ aus dem Jahr 2018 verwandelt sich eine sympathisch wirkende Chorleiterin in eine einsame Rächerin, die in ihrem Kampf gegen eine energieintensive Aluminiumfabrik zur Sabotage greift.
In Deutschland wird die Diskussion seit Kurzem durch den Klimaaktivisten Tadzio Müller befeuert, der für eine „friedliche Sabotage“ im Namen des Klimaschutzes eintritt. Der 45-Jährige ist promovierter Politikwissenschaftler und Aktivist in der globalisierungskritischen Bewegung und der Klimabewegung. Zunächst hat er seine Position in einem Gespräch mit der tageszeitung (18.8.2021/taz) verdeutlicht. Darauf habe ich mit einem kritischen Kommentar reagiert (taz vom 12.9.2021), der teilweise dem hier vorgelegten Text zugrunde liegt. Der Spiegel (21.11.2021) bot vor Kurzem Müller eine weitere Gelegenheit, seine Ansichten im Rahmen eines – durchaus von kritischen Rückfragen – geleiteten Interviews zu bekunden. Dies wiederum hat eine aufgeregte Berichterstattung in diversen Tageszeitungen und anderen Medien ausgelöst. Welche Ansichten vertritt Tadzio Müller und was ist davon zu halten?
Ratschläge und Drohungen
Im Gespräch mit der taz argumentierte Müller folgendermaßen: Die bisherigen Blockadeaktionen reichen nicht aus. Als business as usual sind sie nicht mehr nachrichtenrelevant. Das verstärkte Druckmittel der „friedlichen Sabotage“ sei geboten. „Irgendwo muss ein materieller Schaden verursacht werden … Es muss klar sein: Wer jetzt neue fossile Investitionen plant, begeht ein Investitionsrisiko.“ In einem Akt der „legitimen Notwehr“ solle man „bestimmte Dinge außer Betrieb setzen“, und dies, in eine rhetorische Frage gekleidet, „möglichst langfristig“. Angesichts der strukturellen Gewalt, die auf eine Zerstörung des Planeten hinausläuft, sei es „legitim, wenn Menschen mit ihren bloßen Körpern Teile der fossilen Infrastruktur kaputt machen. Friedlich ist die Sabotage deshalb, weil keine Menschen zu Schaden kommen.“ Müller beruft sich auf historische Vorbilder eines „strategischen Miteinander“ von Moderaten und Radikalen. Taktische Erwägungen seien allerdings geboten: Müller würde „nicht mit irgendwelchen großen Werkzeugen oder gar Waffen“ operieren. Auch würde er Sabotageaktionen „nie vor der Wahl machen!“ Und es müssen „die Menschen affektiv beim Gefühl der radikalisierten Krise abgeholt werden“.
Im Spiegel-Interview bekräftigt der Aktivist seine bereits gegenüber der taz geäußerten Ansichten, setzt aber auch neue Akzente. Er versichert: „Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF.“ Und weiter: „Zerdepperte Autoshowrooms, zerstörte Autos, Sabotage in Gaskraftwerken oder an Pipelines. Das wird es nächsten Sommer auf jeden Fall geben.“ Man habe mit ständiger „Verwüstung“ von Baustellen an Autobahnen und Gaskraftwerken zu rechnen, dem Auftritt von „Öko-Partisanen“, dem Weg eines kleinen Teils der Klimabewegung „in den Untergrund“. Das sei „eine Drohung. Nicht an irgendwen persönlich, aber an die Gesellschaft“. Andererseits bemüht sich Tadzio Müller, den Ball flach zu halten. „Mir geht es um entschlossenen, gewaltlosen Protest, der Regeln bricht und auch mal Bauzäune umwirft. Das ist für mich keine Gewalt.“ Müller, der eingesteht, „selbst schon einmal kurz davor“ gewesen zu sein, in den Untergrund zu gehen, sagt zugleich: „Das ist irrsinnig. Ich will das nicht. Ich will diese Zukunft nicht. Das ist die Hölle.“ Vom Interviewer aufgefordert, nicht einer angeblich unvermeidlichen Eskalation das Wort zu reden, meint er: „Ich werde nicht in den Untergrund gehen, ich bin viel zu alt. Es ist politisch fatal, und man weiß aus den Erfahrungen der RAF, dass der Untergrund kaputt macht. Aber es wird passieren, wenn die Repression gegen Notwehraktionen zu heftig ausfällt.“
Gegenrede
Müllers Positionen zeichnen sich durch drei Grundzüge aus: (1) Ambivalenzen und Widersprüche, (2) die Berufung auf Notstand und Notwehr, welche Radikalität - bis hin zum so nicht wörtlich genannten Öko-Terrorismus - geradezu erzwingt, und (3) die Schlichtheit des Lösungsangebots, das mit der Ausdehnung der Konzepte von Gewaltfreiheit und zivilem Ungehorsam verbunden ist.
(1) Ambivalenzen und Widersprüche durchziehen etliche Stellungnahmen Müllers. Er pendelt, erstens, zwischen der Rolle des leidenschaftlichen Aktivisten, der den Klimaschutz vorantreiben will („mir geht es um entschlossenen, gewaltlosen Protest“), und dem kühlen Tatsachenblick („Ich bin nicht zornig … Ich sage nur, was Sache ist.“). Zweitens changiert er zwischen Mäßigung („Natürlich werden alle darauf achten, dass niemand zu Schaden kommt.“) und der Aufforderung, durch Sabotageakte die Kosten von Unternehmen hochzutreiben, damit diese aus umweltschädlichen Tätigkeitsfeldern aussteigen. Dabei denkt er an Handlungen, die mal als bloßer Körpereinsatz, mal auch als „Verwüstung“ firmieren. Drittens pendelt Müller zwischen verschiedenen Adressaten seiner Botschaften. Er richtet sich einerseits an die Bewegung („Ich spreche hier zur Masse, ich will der Bewegung helfen, indem ich erkläre, was in der Bewegung diskutiert wird.“), um ihr in paternalistischem Gestus zu erklären, was sie bereits diskutiert. Andererseits wendet er sich in gespielter Empathie an das breite Publikum: „Ich will die bürgerliche Mitte darauf vorbereiten, was passieren wird. Ich rufe sie dazu auf, zu erdulden, dass Leute Dinge tun werden, die sie ablehnt und habituell abstoßend findet.“
(2) Kernstück von Müllers Argumentation ist der fraglose Rekurs auf einen Notstand, dessen Dramatik auch die Drastik der Notwehr entsprechen müsse. Die Selbstermächtigung zur Notwehr verknüpft er mit dem Anspruch auf Straffreiheit („Notwehr ist die straffreie Verteidigung gegen einen Angriff, bei dem der Angreifer Schaden zufügt.“). Das Ausmaß der heraufziehenden Katastrophe gebietet es, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und sie befreit offensichtlich von der Mühe, Mehrheiten zu überzeugen und zu gewinnen. Vorgezeichnet wurde diese Linie, in der demokratische Prozeduren keinen rechten Platz mehr haben, bereits bei anderen, wenngleich von Müller nicht genannten Autor:innen. Dazu gehören manche Verfechter:innen von Deep Ecology, aber auch der viel gepriesene Sozialethiker Hans Jonas. Noch in der Erstausgabe seiner von der ökologischen Bedrohung motivierten Verantwortungsethik meinte Jonas, „daß in der kommenden Härte einer Politik verantwortlicher Entsagung die Demokratie (bei der notwendig die Gegenwartsinteressen das Wort führen) mindestens zeitweise untauglich ist, und unsere augenblickliche Abwägung ist, widerstrebend, zwischen verschiedenen Formen der ‚Tyrannis‘“ (Jonas 1979: 207). Ähnliche Töne waren auch von einzelnen Sprecher:innen der Klimaschutzgruppierung Extinction Rebellion zu hören. Wie etliche andere Klimaaktivist:innen umschifft Müller die demokratische Frage, indem er, logisch konsequent, aber auf empirisch ungeklärter Basis postuliert, es gehe um nicht weniger als „die Grundlage der Zivilisation“, somit die Voraussetzung für alles andere.
(3) Angesichts der Dramatik der drohenden Umweltkatastrophe erteilt Müller den bisherigen Formen des Klimaprotests eine Absage. Alles was versucht wurde, habe letztlich wenig oder nichts genutzt. Somit gebe es nur noch den Weg „zwischen Irrelevanz und Militanz“. Die Wahl darüber liege allerdings nicht in der Hand der Klimabewegung, denn: „Die Gesellschaft entscheidet sich für die Militanz, nicht für diejenigen, die dann militant werden.“
Mit der angeblich von außen erzwungenen Militanz verbindet Müller die Ausweitung der Idee von Gewaltfreiheit und zivilem Ungehorsam. Der zivile Ungehorsam in der Tradition von Thoreau, Gandhi und Luther King, konzeptionell präzisiert durch Autoren wie Gene Sharp in den USA und Theodor Ebert in Deutschland, basiert auf der Idee eines strikt gewaltfreien Regelbruchs. Eindeutig ausgeschlossen ist dabei Gewalt gegen Personen. Uneindeutig ist, ob – und falls ja, welche – Sachbeschädigungen ebenfalls als Gewalt gelten sollen. Die Bandbreite zwischen einem kleinen Graffito an einer Hausmauer und der Sprengung eines Fabrikgebäudes ist groß. Persönlich neige ich dazu, ersteres nicht, letzteres aber durchaus als Gewalt (gegen Sachen) und damit als unfriedlich zu bezeichnen. Offen ist, wo die Grenze zu ziehen ist. Diese vertrackte Frage lässt sich schwerlich losgelöst vom Kontext beantworten, darunter der Art des Anliegens, der Höhe des Schadens und den zur Verfügung stehenden Mitteln jenseits der Sachbeschädigung.
Mit Johan Galtungs Formel von der strukturellen Gewalt, auf die sich Müller positiv bezieht, wird der Gewaltbegriff vollends ins Uferlose gedehnt. Von Menschen verursachte Armut, Ungleichheit, selbst die Ungleichheit von Chancen, die aus der Summe nicht intendierter Einzelhandlungen hervorgehen kann, sind dann ein Produkt von Gewalt. Müller meint: „Das Eigentum an Produktionsmitteln oder fossilen Brennstoffen stellt eine Form struktureller Gewalt dar.“ Gegengewalt, sei es gegen die materiellen und immateriellen Strukturen, sei es gegen deren Verteidiger und Nutznießer, ist damit umstandslos oder zumindest hinsichtlich der Gewalt gegen Sachen gerechtfertigt. Allerdings sollte Müller präzisieren, durch welche „friedlichen“ Sabotageakte das Investitionsrisiko für die fossile Energieinfrastruktur so erhöht werden kann, dass sie ihr Kerngeschäft aufgeben.
Ziviler Ungehorsam und Militanz können, aber müssen sich nicht ergänzen. Auch sollte im historischen Rückblick die Wirksamkeit militanten Widerstands nicht überzeichnet werden. Müllers kursorische Hinweise auf den Bauernkrieg, die englischen Suffragetten und die Bürgerrechtsbewegung in den USA verdienten eine ausführliche und differenzierte Betrachtung, die teilweise zu ganz anderen Bewertungen führen würde.
Friedliche Sabotage?
Grundsätzlich hat ziviler Ungehorsam die doppelte Prüfung der operativen Eignung und ethischen Legitimität zu bestehen. Unter taktischen Gesichtspunkten geht es um Fragen der Effektivität, Erforderlichkeit und Angemessenheit der eingesetzten Mittel des Protests bzw. Widerstands. Das lässt sich hier nicht im Einzelnen durchdeklinieren. Abwegig ist jedenfalls die pauschale Behauptung, „strukturelle Gewalt“ rechtfertige Sabotage, welche per se zielführend sei. Ähnlich haben bereits die Revolutionären Zellen, die daraus hervorgegangene radikalfeministische Rote Zora und militante AKW-Gegner argumentiert und Sprengstoffanschläge (möglichst unter Meidung von Personenschäden) verübt. Keine dieser Aktionen, die staatlicherseits als Terror bezeichnet und verfolgt wurden, hat den beabsichtigten Zweck erfüllt. Die angegriffenen wissenschaftlichen Institute und Unternehmen haben ihre Tätigkeit fortgesetzt. Und der Ausstieg aus der Atomenergie verdankt sich nicht Sabotageakten, sondern dem zähen Ringen einer Bewegung, die ganz überwiegend andere Mittel – von juristischen Klagen über Massenproteste bis hin zu diversen Formen zivilen Ungehorsams – bevorzugte.
Zentraler als Strategie und Taktik ist jedoch die Legitimitätsfrage. Das Konzept des zivilen Ungehorsams beinhaltet unter anderem das Bekenntnis zur öffentlichen Aktion, den Willen zur Deeskalation (etwa vorbereitet durch ein gewaltfreies Training) und den Versuch, die Öffentlichkeit argumentativ von Grund, Sinn und Notwendigkeit der Widerstandshandlung zu überzeugen. In der Logik der Sabotage liegt dagegen die Heimlichkeit des Tuns, die Herbeiführung (und potenzielle Steigerung) der Schadenswirkung und eine pauschale Begründung für nicht näher spezifizierte und eingehegte Formen des Widerstands.
Der traditionsreiche zivile Ungehorsam ist konflikt- und risikofreudig, aber hat mit „friedlicher“, geschweige denn unfriedlicher Sabotage nichts zu tun. Sabotage mag in autoritären und totalitären Systemen notwendig und legitim sein. Wer aber in demokratischen Systemen diese Grenze aufweicht, begibt sich auf eine abschüssige Bahn und wird aus guten Gründen nicht einmal eine starke Minderheit der Bevölkerung gewinnen können.
Müllers Position erscheint mir in dreifacher Hinsicht fragwürdig: Sie überdehnt und pervertiert die Idee zivilen Ungehorsams; sie ist unter den gegebenen Bedingungen kontraproduktiv; vor allem aber ist sie schwerlich legitimierbar. Es besteht nicht nur die Wahl zwischen Irrelevanz und Militanz. Solange die Möglichkeiten des wohl verstandenen zivilen Ungehorsams auch nicht annähernd ausgeschöpft sind, gibt es in demokratischen Gesellschaften keine guten Gründe, „friedliche Sabotage“ zu propagieren.
Literatur
Hunter, Emely: Öko-Krieger – Eine neue Generation kämpft für unseren Planeten. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2012.
Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M.: Insel Verlag 1979.
Malm, Andreas: How to Blow Up a Pipeline: Learning to Fight in a World on Fire. London: Verso 2021.
Rucht, Dieter: „Ecological Protest as Calculated Law-breaking: Greenpeace and Earth First!“ in Comparative Perspective“. In: Wolfgang Rüdig (Hg.): Green Politics Three. Edinburgh: University Press 1995, S. 66-89.
6.12.2021