Rechtspopulismus lässt sich messen
Ist die Alternative für Deutschland (AfD) erst im letzten halben Jahr wirklich rechtspopulistisch geworden? Den Eindruck könnte man haben, denn das AfD-Programm enthielt nach der Gründung nur wenige dezidiert rechtspopulistische Elemente. Der Schein aber hat getrogen. Bereits die frühe AfD lässt sich empirisch als klar rechtspopulistisch verorten. Das ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts der WZB-Forscher Heiko Giebler und Aiko Wagner, die gemeinsam mit Marcel Lewandowsky (Universität der Bundeswehr Hamburg) ein neues Messverfahren für Rechtspopulismus entwickelt haben.
Anders als es die Wahl- und Parteienforschung bisher getan hat, analysierten die Forscher nicht die Parteiprogramme, sondern fragten nach den Einstellungen relevanter Parteiakteure – der Kandidatinnen und Kandidaten zum Deutschen Bundestag 2013. Dabei zeigt sich, dass die AfD von Beginn an deutlich jenseits des etablierten Parteiensystems stand und sich diese Tatsache seit Anfang 2015 nur noch deutlich verstärkt hat.
Um Rechtspopulismus zu messen, kombinierten die Forscher den Populismusgrad einer Partei mit der Ausprägung ihrer rechten Orientierung. Als populistisch definieren die Forscher eine Partei, die an all jene appelliert, die sich durch „Die-da-oben“ benachteiligt sehen. Dazu bedarf es einer klaren Definition des „Wir“ und der Stärkung von „Anti-Establishment-Orientierungen“, die sich in einer grundsätzlich negativen Bewertung oder gar Ablehnung der aktuellen Demokratie und ihrer Akteure, der EU und der Medien äußert. Eine Partei hat hingegen dann eine rechte Orientierung, wenn sie ein Bild von „Denen-da-draußen“ schafft, die nicht in das gewünschte Gemeinschaftsbild passen (wie etwa sexuelle Minderheiten oder Migrantinnen und Migranten). Sie versucht, das gesellschaftliche „Wir“ anhand von traditionellen Werten, etwa auch in Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, vor „Denen-da-draußen“ zu schützen.
Die AfD weist mit Abstand den höchsten Populismusgrad auf – noch weit vor der Partei „Die Linke“. Wie zu erwarten, weisen CDU/CSU und SPD nur geringe populistische Züge auf. Eine rechte Orientierung findet sich ebenfalls am stärksten bei der AfD. Hier fällt der Abstand zur Union aber deutlich geringer aus.
Mit Anpassungen kann das Messverfahren auch auf Parteien in anderen europäischen Staaten angewendet werden. Für andere Länder liegen ähnliche Kandidatenbefragungen als Datengrundlage vor, wie etwa die von einem WZB-Team im Rahmen der Deutschen Wahlstudie „GLES“ durchgeführten Erhebungen zu den Europawahlen 2009 und 2014 oder Daten des internationalen Netzwerks „Comparative Candidate Survey (CCS)“ . Forscherinnen und Forscher könnten somit Rechtspopulismus auch über Ländergrenzen hinweg vergleichen - beispielsweise durch Einstufungen des französischen „Front National“ oder der österreichischen „FPÖ“.
Die Forscher verwendeten für Deutschland Daten aus der Kandidatenstudie 2013, eine Nachwahlbefragung der Kandidatinnen und Kandidaten zum Deutschen Bundestag. Sie umfasst alle Direkt- und Listenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien sowie der FDP, der Piraten und der AfD. Für die Wahl 2013 beantworteten 1137 von etwa 2.800 Kandidatinnen und Kandidaten den Fragebogen - mit 40 Prozent eine hohe Quote für eine Elitenbefragung. Die Kandidatenstudie ist Teil der Deutschen Wahlstudie (GLES), an der auch das WZB beteiligt ist.
Über das Messverfahren berichten die Forscher im aktuellen Heft der Politischen Vierteljahresschrift.
Marcel Lewandowsky , Heiko Giebler, Aiko Wagner: Rechtspopulismus in Deutschland. Eine empirische Einordnung der Parteien zur Bundestagswahl 2013 unter besonderer Berücksichtigung der AfD, in: PVS -Politische Vierteljahresschrift, Heft 2/2016, S. 247–275.