Fragen an Sophie Mützel

Wie schmeckt Berlin?

Wie bewerten Restaurantkritiker Restaurants? Was schmecken sie und welche Themen prägen ihre Bewertungen? Sophie Mützel hat die Restaurantkritiken der beiden Berliner Wochenmagazine „Zitty“ und tip“ von 1995 bis 2012 untersucht. Ihre Studie ist in dem Buch „Moments of Valuation“ erschienen, das am 25. März im WZB vorgestellt wurde. Kerstin Schneider hat mit Sophie Mützel über ihre Entdeckungen gesprochen.

 

Warum haben Sie Kritiken aus „Zitty“ und „tip“ intensiv untersucht?

Ich wollte herausfinden, was in diesem Zeitraum in Berlin von Kritikern geschmeckt wurde. Es ging nicht darum, welche Restaurants es in Berlin damals gab, sondern nur um die Auswahl, die in diesen Wochenmagazinen getroffen wurde. Das Schöne an diesen beiden Magazinen ist ja, dass es bei der Beantwortung der Frage „Wohin gehen wir heute“ nicht nur um die Haute Cuisine geht, sondern um eine breite Palette von Geschmecktem und Erlebtem, von der Pommesbude bis zur Sterneküche.

Wie sind Sie vorgegangen?

Die Datensammlung war ein kleines Digital Humanities Projekt, bei dem mir studentische Hilfskräfte und Bibliothekarinnen geholfen haben. Ziel war es, jede einzelne Restaurantbesprechung zu erhalten, die ein Restaurant in Berlin bewertet. Diese evaluierenden Kritiken gibt es seit 1995. Teilweise gab es das Material auf Mikrofilm, teilweise mussten die Texte eingescannt werden, um sie dann computerlesbar zu machen. Dann wurden die Texte weiter bearbeitet und unter anderem Füll- und Stoppwörter entfernt.

Wie testen und bewerten die Kritiker die Restaurants?

Ich habe einen makroskopischen Blick auf die Restaurantbesprechungen geworfen, um herauszufinden, was in diesem Zeitraum in Berlin von Kritikern getestet, erlebt und geschmeckt wurde. Dazu habe ich alle Texte angeschaut und versucht herauszufinden, welche „Erlebnisse“ so relevant empfunden wurden, dass sie notiert wurden und in die Besprechung einflossen. Für die Analyse habe ich die Methode des Topic Modelings benutzt, die aus der Informatik, der Computerlinguistik und dem maschinellen Lernen stammt und auf einer statistischen Verteilungsannahme von Begriffen in einem gegebenen Textkorpus basiert. Der Algorithmus gruppiert Begriffe auf der Grundlage ihres gemeinsamen Auftretens im Textkorpus als sogenannte Themen (topics) zusammen – dies erfolgt ohne a priori händische Kodierung. Diese Themen sind dann ganz ähnlich der soziologischen Idee der Rahmung interpretierbar. Insgesamt habe ich 30 Themen im Korpus analysiert. Einige Themen, die sich ergaben, waren einfach identifizierbar. So wurde die bayerische Küche (mit u. a. den Begriffen Sauerkraut, Schnitzel, Fass, deftig, Würstchen) oder auch die französische Küche geschmeckt (Crème, Austern, Entrecote, bruleé). Andere Themen brachten z.B. Aromen und Atmosphären zusammen, die geschmeckt und erlebt wurden (Zwiebeln, Tischdecken, schön, aromatisch, wunderbar, Minze).

Was war auffallend an den Ergebnissen?

Eine große Veränderung der Themenstruktur in den Besprechungen war überraschend. Das Thema, das ich „Qualität und Ambiente im Kiez“ nenne und das sich aus Begriffen wie „mittags, Frühstück, günstig, Kiez, Lachs, ordentlich“ zusammensetzt, war bis Mitte der neunziger Jahre sehr dominierend in dem, was die Kritiker geschmeckt haben. Es nimmt dann Anfang der 2000er stark ab. Abgelöst wird es von dem Thema, das ich „neue deutsche Küche“ nenne und das sich aus Begriffen wie „perfekt, gebraten, klassisch, Riesling, rote Beete, regional“ zusammensetzt. Restaurantkritiker der beiden Berliner Wochenmagazine haben also immer mehr über Erlebtes oder Geschmecktes berichtet, das sich diesem Thema „neue deutsche Küche“ zuordnen lässt.

Wie erklären Sie sich das?

Es ging mir zunächst darum, herauszufinden, was in diesen 18 Jahren von den Kritikern geschmeckt wurde. Eine Analyse der Gründe bedarf weiterer Schritte. Ursachen werden in der Hauptstadtwerdung Berlins, mit allem was dazugehört, und in der gestiegenen touristischen Aufmerksamkeit für Berlin liegen, aber auch in dem gewachsenen Bewusstsein für saisonale, regionale Küche, die den Elementen der neuen deutsche Küche eine größere Bedeutung zukommen lassen.

 

Sophie Mützel, früher wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Kulturelle Quellen von Neuheit“, ist heute Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Medien und Netzwerke an der Universität Luzern. Ihr Beitrag „Structures of the Tasted: Restaurant Reviews in Berlin Between 1995 and 2012“ ist in der Publikation „Moments of Valuation“ erschienen, das am 25. März im WZB vorgestellt wird.

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