Institutionelle Effekte von Evaluationen
Projektbeschreibung
Es wird zurzeit in der wissenschaftssoziologischen und wissenschaftspolitischen Debatte viel diskutiert und auch spekuliert über die intendierten und nicht intendierten Wirkungen von Evaluationen auf die Koordinations- und Organisationsformen der Wissenschaft sowie auf ihre epistemischen Praktiken. Um überhaupt Effekte auslösen zu können, müssen Anschlussfähigkeiten an wissenschaftliche oder wissenschaftspolitische Handlungsmaximen und Referenzrahmen geschaffen werden, die in drei empirischen, international vergleichenden Teilprojekten beleuchtet werden sollen. Sind Evaluationen ein neues Element der Profession Wissenschaft? Gelingt es der Profession sich extern initiierte Evaluationen als systemeigenes Element anzueignen und zu integrieren? Wie werden im wissenschaftspolitischen System Evaluationen aufgenommen und ggfs. für strategische Absichten weiter verarbeitet? Kann man von (national) unterschiedlichen Evaluationsregimen sprechen und beeinflussen diese Effekte Bewertungsprozesse?
Teilprojekte
In diesem Teilprojekt wird die Frage bearbeitet, welche Folgen institutionelle Evaluationen der Wissenschaft für das Selbstverständnis, die Standards und die Organisationsweise der akademischen Profession haben. Die in der internationalen Wissenschaftsforschung dominante These ist, dass Evaluationen einer Deprofessionalisierung Vorschub leisten: Als extern initiierte Überprüfungs- und Rechtfertigungsinstrumente gelten Wissenschaftsevaluationen als Ausdruck eines generellen Vertrauensverlustes in die Selbststeuerungskapazitäten der akademischen Profession, institutionelle Evaluationen beziehen sich auf Wissenschaftsorganisationen und stärken damit den Stellenwert von Organisationen gegenüber Professionen und schließlich werden über Evaluationen neuartige Leistungsindikatoren importiert. Viele empirische Sachverhalte sprechen allerdings auch gegen diese Deprofessionalisierungsthese: Evaluationen werden von Professionsangehörigen als Element kollegialer Selbstkontrolle verstanden, Fachvertreter sind an zentraler Entscheidungsstelle positioniert, Evaluationsverfahren und Kriterien determinieren nicht die Urteilsbildung und gerade bei kollektiven Entscheidungsprozessen in heterogenen Gutachtergruppen werden fachübergreifend geteilte Standards besonders wichtig. Evaluationen stehen also nicht nur in einem Spannungsverhältnis zur Profession, sondern sie fügen sich in vielerlei Hinsicht in professionelle Selbstverständnisse und Handlungsweisen ein. Dieses Projekt konzentriert sich deshalb auf die bislang zu wenig beachtete Frage, ob und inwieweit Evaluationen an die akademische Profession anschlussfähig sind. Der wissenschaftssoziologische Beitrag besteht in der Überprüfung und ggf. Revidierung der gängigen Deprofessionalisierungsthese. Die Beobachtung von Anschlussfähigkeiten richtet den Blick auf ein dynamisches Konzept der akademischen Profession, der es immer gelungen ist, aktiv mit Umweltveränderungen umzugehen und dabei neue Formen anzunehmen. Für die Wissenschaftspolitik ist schließlich relevant zu wissen, wie professionsinterne Regulierungen bei der Ausgestaltung von Evaluationsverfahren genutzt werden können.
In diesem Teilprojekt geht es um die Rolle, Funktion von und Erwartungen an Bewertungsprozesse in der Wissenschaft durch die Wissenschaftspolitik. Staatliche Politik befindet sich dabei in dem Dilemma, über keine direkten Eingriffsmöglichkeiten zu verfügen und fast ausschließlich auf in der Wissenschaft selbst generierte Bewertungen zurückgreifen zu müssen, da allein die Fachgemeinschaften über das Monopol der Qualitätsdefinition verfügen. Bewertungen in Form von Evaluationen können eine wichtige orientierende Wirkung ausüben, sind aber nur ein Element von vielen in einem komplexen wissenschaftspolitischen Steuerungs- und Koordinationsarrangement. Auch wenn Evaluationen wissenschaftspolitische Entscheidungen somit nicht ersetzen können, liefern sie zumindest Informationen hierfür, etwa über den Grad der Zielerreichung eines Programms oder einer Forschungseinrichtung. Vor diesem Hintergrund soll das Projekt Erkenntnisse darüber liefern, ob und welche Evaluationen eine ausreichende Informationsbasis für wissenschaftspolitische Entscheidungsprozesse darstellen und ob die generierten Informationen überhaupt in unmittelbare Förderentscheidungen und mittelfristig angelegte Forschungspolitik eingehen. Welche anderen (politischen) Funktionen erfüllen Evaluationen für die Wissenschaftspolitik? Wie sollten aus Sicht der Politik Evaluationssysteme aussehen, die ihr trotz der wissenschaftlichen Autonomie ermöglichen, die aus Evaluationen gewonnenen Informationen für sich zu nutzen?
In Evaluationen werden Urteile darüber gefällt, ob etwas als „gute“ Wissenschaft gilt oder nicht, es wird über Einschluss und Ausschluss in der Wissenschaft entschieden. Das Teilprojekt fragt danach, ob und inwiefern sich die auf spezifischen Normen basierenden Institutionen, Regeln und Verfahren zur Bewertung wissenschaftlicher Leistung international unterscheiden – ob und inwiefern sich also nationale Evaluationsregime identifizieren lassen. Damit thematisiert das Projekt Grundfragen der Wissenschaftsforschung, die mit zunehmender internationaler Kooperation in Forschung und Entwicklung neue Relevanz erhalten: Welche Bedeutung haben nationale Systeme für die wissenschaftliche Wissensproduktion? Oder breiter: An welchen Grenzen differenziert sich die Einheit und Vielfalt der Wissenschaft – welche Bedeutung haben etwa auch disziplinäre oder kulturelle Kontexte? (Inwiefern) gibt es weltweit gültige Verständnisse „guter“ Wissenschaft? Diese Fragen werden auf der Grundlage von nationalen Fallstudien bearbeitet, wobei sich die Auswahl der Fälle am Prinzip größtmöglicher Heterogenität orientiert – neben westlichen Demokratien sollen andere Regierungsformen und kulturelle Kontexte in einen Vergleich einbezogen sein.