Verwissenschaftlichung oder Vergesellschaftung? Der Wandel der Wissensordnungen in Deutschland, Großbritannien und den USA

Abstract

Gemeinschaftsprojekt der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik

Die Position der Wissenschaft in der Gesellschaft ist in einem Wandel begriffen. Einerseits werden wissenschaftliche Evidenz und Expertise in einem bisher nie da gewesenen Maße in Anspruch genommen, um politische Entscheidungsprozesse und öffentliche Meinungsbildung zu unterstützen. Dies zeigt etwa die gestiegene Bedeutung von Verfahren einer „evidenzbasierten Politik“: Instrumente des Leistungsvergleichs („Benchmarking“) und des Monitorings gehören mittlerweile zum politischen Standardrepertoire. Andererseits sehen sich wissenschaftliche Experten mit einer weit verbreiteten Skepsis konfrontiert. In dem Maße, als zu jeder Expertise auch eine Gegenexpertise verfügbar wird, sinkt die Legitimität wissenschaftlicher Geltungsansprüche in der Öffentlichkeit. Besonders komplexe Probleme wie etwa in der Gentechnik oder in der Arbeitsmarktregulierung verschärfen dieses „Expertendilemma“ noch, weil es trotz erhöhter Prognoseunsicherheit gesellschaftlich nicht akzeptabel wäre, auf wissenschaftliche Lösungsvorschläge zu verzichten. Experten sehen sich mit erheblicher Skepsis und mit Forderungen nach öffentlicher Partizipation konfrontiert. An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zeichnen sich vor diesem Hintergrund komplexe und widersprüchliche Transformationsbewegungen ab – die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Vergesellschaftung der Wissenschaft.

Um diesen Wandel in der Produktion öffentlich relevanten Wissens und seine Folgen systematisch zu untersuchen, bedarf es eines Ansatzes, der die jeweiligen Kommunikations- und Austauschbeziehungen zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit zum Gegenstand eines internationalen Vergleichs macht. In der aktuellen Forschung werden diese institutionellen und kulturellen Arrangements der Produktion, Verbreitung und Bewertung öffentlich relevanten Wissens als „Wissensordnungen“ bezeichnet. Ziel des zu beantragenden Vorhabens ist es daher, im Rahmen eines Ländervergleichs zwischen Großbritannien, Deutschland und den USA den Wandel der jeweiligen Wissensordnungen in den vergangenen zehn Jahren in zwei besonders kontrovers diskutierten Problemfeldern (Verbraucherschutz, Arbeitsmarktpolitik) nachzuzeichnen, die dabei maßgeblichen Mechanismen und Ursachen zu identifizieren und die Folgen für öffentlichen Umgang mit kontroversem Wissen abzuschätzen. Die drei Vergleichsländer unterscheiden sich in ihren Wissensordnungen erheblich. Das Vorhaben lässt insofern besonders aussagekräftige Ergebnisse im Hinblick auf mögliche Konvergenzen und deren Ursachen erwarten. In welche Richtung und mit welchen Folgen haben sich die Grenzen zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich verschoben? Lassen sich Annäherungen zwischen den länderspezifischen Wissensordnungen beobachten? Was sind die Ursachen und Mechanismen dieses Wandels?

Das Projekt wird ab 2011 für drei Jahre von der Volkswagenstiftung (Initiative „Wissenschaft – Öffentlichkeit – Gesellschaft) gefördert und findet in enger Kooperation mit dem Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin (Lehrbereich „Politische Soziologie und Sozialpolitik“) statt.

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Ansprechpartner: Holger Straßheim (holger.strassheim [at] sowi.hu-berlin.de (subject: WZB%20Projekt) )