Konkurrierende Orientierungen? Wirtschaftliche und Wissenschaftliche Referenzen und Orientierungen in der Biotechnologie
Der Biotechnologie wird ein enormes Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotential attestiert. Die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen aus biowissenschaftlicher Forschung konnte mit den hohen Erwartungen von Politik und Wirtschaft bislang jedoch nicht Schritt halten. In unserem Projekt wollen wir der Frage nachgehen, ob und wie sich die forschungsintensiven Wertschöpfungsketten der Biotechnologie als neuer Modus transdisziplinärer und anwendungsorientierter Wissensproduktion manifestieren und langfristig entwickeln werden. Was sind die epistemischen, organisatorischen und habituellen Grundlagen für den Erfolg wissenschaftlich-wirtschaftlicher Grenzüberschreitungen in der Biotechnologie? Welchen Einfluss haben Fachkulturen, biographische Faktoren und die aktuellen Transformationsprozesse in der Forschungslandschaft auf die Herausbildung eines neuen Modus der Wissensproduktion?
Projektbeschreibung
Biotechnologie zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik
Der Biotechnologie wird ein enormes Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotential attestiert. Technologische Impulse für neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen entstehen in der Biotechnologie sehr häufig in wissenschaftlichen Institutionen. Dabei profitiert die Branche in Deutschland von einer starken Wissensbasis mit gut ausgebildeter wissenschaftlicher Infrastruktur. Eine besondere Rolle wird dabei akademischen Ausgründungen zugeschrieben, die als Keimzellen für Innovationen gelten.
Dieser Zusammenhang wird zunehmend auch in der Wissenschaftspolitik erkannt. So erklärte die Bundesregierung die Biotechnologie im Rahmen ihrer „Hightech Strategie“, zur Zukunftsindustrie des 21. Jahrhunderts. Doch trotz umfassender Förderprogramme wie „Bio-Regio“, „Go-Bio“ oder „Bio-Future“ blieb die konkrete Umsetzung neuer Erkenntnisse aus den Life Sciences in wirtschaftlich tragfähige Technologien bislang hinter den weitläufig gehegten Erwartungen zurück. Ökonomische Erklärungsmodelle machen für diese Diskrepanz strukturelle Bedingungen auf dem akademischen Arbeitsmarkt, rechtliche Hürden und Schwankungen in der Kapitalversorgung verantwortlich. Aus soziologischer Sicht muss geklärt werden, ob und wie sich die forschungsintensiven Wertschöpfungsketten der Biotechnologie als neuer Modus transdisziplinärer und anwendungsorientierter Wissensproduktion manifestieren und langfristig entwickeln werden.
Forschungsgegenstand und Anschluss an bisherige Projekte
Die Erfahrungen aus der Biotechnologie stellen weitläufig vertretene Annahmen über den wissenschaftsbasierten Innovationsprozess in Frage. Vor allem die Vorstellung, wissenschaftliche Erkenntnisse würden in einer Art „Kaskade“ von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung in die industrielle Entwicklung gelangen, wird zunehmend angezweifelt. Grundlagenforscher, Ingenieure und Unternehmer bewegen sich über einige traditionelle fachliche, regionale und institutionelle Gräben hinweg. Andere Grenzlinien werden im Angesicht dieser massiven Verwerfungen etablierter akademischer und wirtschaftlicher Strukturen umso rigider nachgezogen. Der Biotechnologie fehlt ein einheitlicher disziplinärer wie auch akademischer Rahmen.
An dieser Stelle setzen die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik des WZB und das Zentrum für Europäische Wissenschaftspolitik (ZEW) an. Bisherige Untersuchungen zum Typus des „Wissenschaftsunternehmers“ sowie weitere empirische Erhebungen im Rahmen des WZB-geleiteten Projektes PROKNOW legen die Vermutung nahe, dass das Gedeihen nachhaltiger Innovationsträger nicht nur von konjunkturellem Optimismus und rechtlicher Erwartungssicherheit abhängen. Vielmehr prägen kollektive Wertzuschreibungen und die Logiken exklusiver Referenzsysteme das Denken und Handeln biowissenschaftlicher und biotechnologischer Forscher. Dabei ist in der sozialwissenschaftlichen Forschungsdebatte besonders umstritten, in wie fern von einer wechselseitigen Integration bzw. „Entdifferenzierung“ der Sphären Wissenschaft und Wirtschaft gesprochen werden kann. Entgegen der häufig präsentierten Verwertungsrhetorik an deutschen Hochschulen, blieben substanzielle wirtschaftliche Kooperationen und wissenschaftsbasierte Unternehmungen in der Karriereplanung akademischer Spitzen- und Nachwuchsforscher bislang marginal.
Daher sind folgende Fragen empirisch zu klären:
- Was sind die epistemischen, organisatorischen und habituellen Grundlagen für den Erfolg wissenschaftlich-wirtschaftlicher Grenzüberschreitungen in der Biotechnologie?
- Welchen Einfluss haben Fachkulturen, biographische Faktoren und die aktuellen Transformationsprozesse in der Forschungslandschaft auf die Herausbildung eines neuen Modus der Wissensproduktion?
- Welche Instrumente zur aktiven Gestaltung dieses Prozesses stehen politischen Akteuren zur Verfügung?
Methodologie und empirisches Vorgehen
Bibliometrischen Analyse
Im Rahmen einer bibliometrischen Vollerhebung der Publikationsdaten biotechnologisch relevanter Wissenschaftler, soll die Forschungslandschaft durch das ZEW „kartographisiert“ werden. Zur Verfügung stehen Datensätze aus 13.000 STI-Journals, die insgesamt 18.000 deutschen Autoren abdecken, aus denen die Biotechnologie-relevanten Publikationen aus dem Zeitraum 2000 bis 2006 extrahiert werden sollen. Diese Daten werden mit den bereits vorliegenden Informationen zu Patentanträgen verglichen, um akademische Standorte mit entweder hoher fachlicher Reputation oder sichtbaren Patentierungsbemühungen sowie solche mit beiden Output-Formen zu identifizieren.
Qualitative Befragung bzw. Gruppendiskussionen
Die Daten aus der bibliometrischen Erhebung bilden die Grundlage für die Stichprobe mittels derer die Teilnehmer für insgesamt drei Gruppendiskussionen bestimmt werden. In diesen Diskussionen sollen sich Forscher mit gleichem Status und Forschungsgebiet, aber unterschiedlichen Output-Formen (Publikationen vs. Patente) über ihr Selbstverständnis sowie über vergangene und zukünftige Karriereentscheidungen verständigen. Es soll die Frage beantwortet werden, ob tatsächlich inkompatible Mentalitäten („Mindsets“) die unterschiedlichen Output-Formen determinieren oder nicht. Der Fokus liegt auf der roten sowie der grünen Biotechnologie.
Quantitative (Online-)Befragung
Die durch die qualitativen Befunde aus den Gruppendiskussionen modifizierten Hypothesenwerden sollen im Anschluss durch eine quantitative Onlinebefragung verifiziert werden. Hier wird ein erhöhtes Maß an Generalisierbarkeit angestrebt. Gleichzeitig soll jedoch der differenzierten Gestalt der Biotechnologie Rechnung getragen werden.
Kontakt: Alexander Wentland